Kinderliteratur in Rumänien: heimische Produktion bescheiden, Übersetzungen in schwankender Qualität
Die rumänische Kinderliteratur hat in ihrer Entwicklung nach der Wende unterschiedliche Etappen erlebt. Nach einem starken Rückgang in den 1990ern kam es zu einem bescheidenen Aufschwung ab 2008.
Christine Leșcu, 16.01.2016, 18:39
In den neunziger Jahren zeichnete sich in der rumänischen Kultur ein deutlicher Rückgang ab. Die Kinderliteratur bildete auch keine Ausnahme. Rumänische Kinderbücher kamen selten auf den Markt, und die Übersetzungen hatten eine eher unbefriedigende Qualität. Die Situation änderte sich wesentlich 2008-2009, und auf den Markt kamen sowohl mehrere Übersetzungen als auch einheimische Kinderliteratur in rumänischer Sprache. Der Schriftsteller und Dichter Florin Bican, der gleichzeitig aus dem Englischen und ins Englische übersetzt, kommt zu Wort mit Einzelheiten über die Situation der Kinderliteratur in Rumänien:
Ich glaube, dass nach der Wende die rumänischen Verleger es vermieden haben, einheimische Kinderliteratur zu veröffentlichen. Die rumänischen Schriftsteller haben ihrerseits vor dem Hintergrund dieser zurückgehenden Nachfrage ihr Angebot reduziert. Mit der Zeit wurden das Publikum und die Verleger gegenüber der einheimischen Kinderliteratur wieder offen, weil sie vorher mit Übersetzungen aus ausländischer Kinderliteratur einen Vorgeschmack bekommen hatten. Wie gesagt, in den Neunzigern hatte die rumänische Kinderliteratur viel an Bedeutungen verloren. Vor der Wende gab es trotz der miserablen Situation, die in Rumänien während Kommunismus herrschte, eine beachtenswerte Kinderliteratur. Selbst wenn sie am Ende der Achtziger mit nur noch wenigen Titeln vertreten war, gab es sie als literarisches Genre und sie wurde ernst genommen. Nach der Wende stellte sich beim Publikum eine gewisse Gleichgültigkeit ein.“
Zahlreiche Verlage haben aus Profitgier auch schlechte Übersetzungen aus anderen Sprachen veröffentlicht. Grund dafür war auch die Zurückhaltung rumänischer Schriftsteller gegenüber der Kinderliteratur, einer Gattung, die — trotz der weit verbreiteten gegenteiligen Meinung — nicht so leicht zu bewerkstelligen ist. Florin Bican dazu:
Viele sind fest überzeugt, dass es einfach sei, für Kinder zu schreiben, diese Ansicht vertritt insbesondere, wer es nie probiert hat. Schlimm ist es, dass einige, die dieser Meinung sind, auch schreiben. Das Schlimmste ist, dass ihre Bücher auch noch veröffentlicht werden. Es gibt hingegen auch die Kategorie der Schriftsteller, die sich dessen bewusst sind, dass es schwer ist, Kinderliteratur zu schreiben. Die Inspiration entsteht im Alltag, wenn wir Kinder beobachten, viel Kinderliteratur lesen und wenn wir Kinderliteratur mit Kinderspaß lesen. Es kann auch sein, dass manche von uns, Kinderbuchautoren, Erinnerungen aus der Kindheit noch frisch im Gedächtnis behalten.“
Der direkte Kontakt zu den Kindern sei ohnehin entscheidend, sagt Bican. Die Kommunikation mit dem eigenen Kind war allerdings das, was Sînziana Popescu dazu antrieb, sich der Kinderliteratur zu widmen. Im Jahr 2009 wurde ihr Buch Călătoria lui Vlad pe celălalt tărâm“ (Vlads Reise ins Jenseits“) mit dem Preis des Rumänischen Schriftstellerverbands in der Sektion Kinderliteratur ausgezeichnet. Der Preis war allerdings seit Jahren nicht mehr verliehen worden. Vlads Reise ins Jenseits“ ist der erste Band der Serie Andilandi“. Die Schriftstellerin kommt zu Wort mit Einzelheiten über ihr Buch:
Diese Serie habe ich 2002-2003 begonnen, als mein Sohn klein war. Ich wollte ihm die Gestalten der rumänischen Mythologie näher bringen, wir haben auch bemerkenswerte Superhelden… Damals lasen die Kinder viel Fantasyliteratur aus dem angelsächsischen Raum — ich dachte aber, dass wir auch etwas in diesem Bereich zu zeigen haben, unsere mythologischen Figuren können auch ein großes Interesse erregen. Ich wollte niemanden belehren, sondern eine angenehme und interessante Geschichte schreiben. Sollte die Geschichte auch eine Moral haben, dann versuche ich, sie herauszuziehen und ans Licht zu bringen. Ich wollte die Moral nicht verbergen, sondern tat mein Bestes, damit sie als solche wahrgenommen wird, weil die Kinder üblicherweise auf belehrenden Absichten zurückhaltend reagieren.“
Ebenfalls, um belehrende Absichten zu vermeiden und Kinder zu belustigen, schrieb Florin Bican sein Buch Reciclopedia de poveşti cu rimă şi tâlc“ (in etwa: Märchen-Rezyklopädie mit Reim und Tiefsinn“), eine nonkonformistische Nacherzählung des berühmten Abenteuer-Märchens Harap-Alb“ (Der weiße Mohr“). Nonkonformistisch ist auch die Sprache. Das Märchen wird umgangssprachlich erzählt, was die Eltern wahrscheinlich nicht erwartet hatten. Dazu der Autor:
Alle diese Ideen sind mir während der Gespräche mit meinem Kind eingefallen. Er ist heute fast 30. Als ich merkte, dass ein Text für ihn sprachlich zu aufgebauscht war, versuchte ich, ihn lustiger zu machen. Das habe ich im Laufe der Jahre weiter geübt: einen bekannten Text sozusagen auf den Kopf zu stellen. Ich habe darauf viele Reaktionen bekommen und habe alle auch gesammelt. Die Kinder akzeptierten mein Buch vorbehaltslos, und ich war erstaunt, zu merken, dass sie sich durch unkonventionelle Begriffe vom Weg nicht abbringen ließen. Sie haben sich allein auf die Geschichte konzentriert und die von mir erzielte Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Die Kinder haben schnell begriffen, dass eine Märchenfigur, die unflätige Sprüche bedient, lächerlich wirkt und letztendlich versohlt wird. Die Kinder haben auch die Parodie wahrgenommen. Das kann ich nicht über alle Eltern und Lehrer sagen.“
Selbst wenn in letzter Zeit immer mehr Kinderbücher auf den Markt kamen, bleibt doch die Zahl der Autoren von Kinderliteratur gering, glaubt Sînziana Popescu:
Unser Buchmarkt erstickt in Übersetzungen und nicht alle sind qualitativ hochwertig. Dabei ist die Diversifizierung nach unterschiedlichen Gattungen auch nicht gerade reichhaltig. Zwei Kategorien lassen sich grob erkennen: Bestseller der Gegenwart und Klassiker wie Astrid Lindgren, Mark Twain und Beatrix Potter. Wir wissen beispielsweise nichts über schwedische Autoren der Gegenwart. Rumänische Kinderbuchautoren kann man an den Fingern einer Hand abzählen. Deswegen steht unser Markt unter dem Zeichen einer großen Gleichgewichtsstörung.“
Das letzte Buch von Sînziana Popescu ist den Kindern im Alter von 3 bis 7 Jahren gewidmet und erschien in zweisprachiger Auflage, rumänisch-schwedisch, im Verlag Pionier Press“ in Schweden.