Jacek Krawczyk, Vorsitzender der Arbeitgebergruppe im Rahmen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialrates, versucht einen Kraftakt: Sozialschutz sei in der Reform des Binnenmarktes zwar notwendig, doch müsse er mit mehr Wettbewerbsfähigkeit einhergehen.
Die europäische Wirtschaft scheint endlich eine Krise zu überwinden, die seit zu langer Zeit andauert. Das Wirtschaftswachstum ist aber bescheiden und die Prognosen sind nur im kleinen Maße beruhigend. Laut Experten setzen die Lösungen zur Stabilisierung der europäischen Wirtschaft langfristig Änderungen der Verhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern voraus. In diesem Sinne ist ein permanenter und konstruktiver sozialer Dialog wesentlich.
Auf Ebene der Europäischen Union ist die Institution, die den Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vermittelt, der Europäische Wirtschafts- und Sozialrat (EESC). Radio Rumänien International hat Jacek Krawczyk, den Vorsitzenden der Arbeitgebergruppe im Rahmen des besagten Rates, gefragt, welche Herausforderungen es bezüglich des europäischen Sozialdialogs in diesem neuen Kontext gibt. Jacek Krawczyk:
„Es ist offensichtlich: Wenn wir Sozialschutz auf hohem Niveau bieten wollen, wenn wir über effiziente Sozialsicherheitssysteme sprechen wollen, dann brauchen wir eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Ich denke, dass die Idee der wettbewerbsfähigen Wirtschaft, der wettbewerbsfähigen Unternehmen zum Wohle der Gesellschaft, zum Wohle der Bürger nun immer mehr verwirklicht wird. Es ist also nicht mehr ausschließlich das Interesse der einen oder der anderen, es geht nicht mehr darum, die Schuld auf die Schulter der anderen zu schieben, sondern wir sprechen, glaube ich, immer offener über das, was wir tun müssen, um aus der europäischen Sozialwirtschaft einen Erfolg zu machen, so wie es früher war. Somit liegt die Idee einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft im Interesse einer Sozialwirtschaft. Das ist die neue Realität, die über den traditionellen Konflikt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, mit endlosen Diskussionen über Gehälter, Arbeitszeiten, Arbeitssicherheit und –gesundheit hinausgeht... Ich denke, dass wir einen sehr hohen Standard betreffend Sozialschutz und Arbeitssicherheit haben, wir haben einen sehr zivilisierten Arbeitsmarkt in der Europäischen Union, mit Sicherheit den meistentwickelten weltweit. Wir haben ein sehr entwickeltes Sozialsicherheitssystem und nun sprechen wir über Verbesserungsmöglichkeiten. Wir haben aber von einem sehr hohen Standard angefangen und deshalb werden wir mit vielen Herausforderungen konfrontiert.“
Um die sozialen Herausforderungen zu überwinden, die die neue wirtschaftliche Realität mit sich bringt, hat die Europäischen Kommission eine Debatte über die sogenannte Europäische Sozialrechtsäule ins Leben gerufen. Es handelt sich um einen Rahmen, der in der nächsten Zeit eine Fortentwicklung des Prozesses zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen bewirken soll. Außerdem soll ein möglichst leistungsstarkes Sozialsystem unterstützt werden. In die öffentliche Debatte über die Europäische Sozialrechtsäule involvierte sich auch der Europäische Wirtschafts- und Sozialrat. Einzelheiten bietet wieder Jacek Krawczyk, Vorsitzender der Arbeitgebergruppe im Rahmen des besagten Rates:
„Wir haben in unserem Rat gerade eine Unterlage über die Sozialrechtsäule erarbeitet. Ich war dabei einer der drei Berichterstatter. Erstens hat der Rat Einvernehmen erlangt. Wenn Sie sich unsere Zusammensetzung ansehen, die Arbeitgeber, Gewerkschaften und NGOs beinhaltet, bedeutet es schon viel, wenn man Einvernehmen erlangt. In dieser Unterlage haben wir uns tatsächlich auf die Herausforderungen konzentriert, die uns bevorstehen. Ich denke, dass, wenn es um Herausforderungen geht, es sich um die Zukunft der Arbeit handelt, vor dem Hintergrund der unglaublichen Umstellungen, die von der Digitalrevolution hervorgerufen werden. Die Arbeitsverhältnisse und der Arbeitsmarkt werden sich somit ändern. Zahlreiche Arbeitsplätze werden verschwinden, es werden neue geschaffen. Die Frage ist, wie wir in der EU auf diese Situation reagieren werden. Anstatt uns den traditionellen Konflikten entgegenzustellen, haben wir beschlossen, in die Zukunft zu blicken. Natürlich wissen wir, dass eine Übergangszeit notwendig ist, dass wir die Bürger unterstützen müssen, neue Fähigkeiten zu erlangen, dass wir die notwendigen Justierungen des Bildungssystems vornehmen müssen, wir werden eine gesunde Infrastruktur für Forschung und Entwicklung, für Innovation aufbauen müssen. Ich denke, dass die digitale Revolution viele Änderungen hervorrufen wird. Das ist eine der großen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt der EU, auch wenn einige unserer Mitbürger dies heute noch nicht nachvollziehen. Dieser ist aber ein schneller Zug, der schnell ankommt und schnell wegfährt. Wenn wir nicht schleunigst einsteigen, wird dieser davonfahren. Und dann werden uns Länder wie die USA oder Südkorea um Jahrzehnte voraus sein.“
Jacek Krawczyk, Vorsitzender der Arbeitgebergruppe im Rahmen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialrates, wollte auch folgende konkrete Aspekte hervorheben:
„Nun taucht natürlich die Frage der Zukunft einiger Systeme wie das Rentensystem auf. Wir müssen uns vergewissern, dass wir gleichzeitig mit dieser wandelnden Wirtschaft einen verantwortungsbewussten Weg finden, um die Gesundheitssysteme, die öffentlichen Dienste, die Rentensysteme aufrecht zu erhalten. Auch hier haben wir Einvernehmen erlangt. Einerseits mussten die Kollegen aus den Gewerkschaften ihre Erwartungen senken, denn einige von ihnen dachten, dass eine Sozialrechtssäule die Einführung von noch mehr Regelungen bedeutet. Natürlich wird es auch Regelungen geben, aber das ist ein sehr umfassendes Thema. Wir vom Rat glauben aber, dass die Sozialrechtssäule tatsächlich etwas für die Bürger der EU darstellen muss. Viele glauben, dass die Institutionen und Initiativen der EU recht weit von den Bürgern entfernt sind. Auch ich denke, dass das Gefälle zu groß ist. Wenn wir dieses Gefälle überwinden wollen, müssen wir uns vergewissern, dass die Bürger an der EU interessiert bleiben. Die EU muss ihnen Sicherheit verleihen, Opportunitäten zum Wohlstand und natürlich, wie in der Vergangenheit, Frieden und Zusammenarbeit. Die Sicherheit und der Wohlstand für die weitesten Teile der Gesellschaft sind die Gründe, warum die Sozialrechtssäule ins Leben gerufen wurde.“
Mit Sicherheit bleiben die Erwartungen der Europäer hoch, auch wenn der EU-Skeptizismus laut Umfragen zunimmt. Die Wahlergebnisse in wichtigen EU-Ländern wie Frankreich und Deutschland werden ebenfalls das Umdenken im Bereich des Sozialstaates und die Reform des europäischen Binnenmarktes erheblich beeinflussen.
Deutsch von Florin Lungu
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