Kulturkonsum-Barometer: Rumänen kennen eigene Geschichte erstaunlich schlecht

kulturkonsum-barometer: rumänen kennen eigene geschichte erstaunlich schlecht In diesem Jahr werden in Rumänien zwei Großereignisse zelebriert: die Hundertjahrfeier der Großen Vereinigung vom 1. Dezember 1918 und das Europäische Jahr des Kulturerbes.

Das sogenannte Kulturkonsumbarometer konzentriert sich dshalb auf die Wahrnehmung der Rumänen hinsichtlich der Identität und der Wertsteigerung des eigenen Kulturerbes sowie auf die aktuellen kulturellen Praktiken. Wie in den vergangenen Jahren wurde das Kulturkonsumbarometer vom Landesinstitut für Forschung und Kulturbildung durchgeführt (INCFC). Diese Umfrage bietet möglicherweise Überraschungen für diejenigen, die von einem besseren Kenntnisstand zum hundertjährigen Jubiläum der Vereinigung und dessen Bedeutung ausgegangen waren, so Carmen Croitoru, Leiterin des INCFC.

 

„Die Zahlen, die sich auf die Wahrnehmung der Bevölkerung über die beiden Ereignisse beziehen, entsprechen nicht den Erwartungen. Die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Rumänen die Hundertjahr-Feier nicht einordnen konnte, ist nicht überraschend, sondern sie zeigt das Ausmaß eines nicht gebildeten Erwartungshorizonts. Es ist für uns offensichtlich, dass die Statistiken eine Konsequenz sind, also werden wir niemals mit dem Finger auf die Rumänen zeigen, die nicht lesen, die ihre Feiertage nicht kennen, und diejenigen, die keine Orientierung haben. Uns ist klar, dass ein Mangel an konzeptioneller und strategischer Ausrichtung nicht zu positiven Trends führen kann.“

 

 

Bei der Umfrage für das Kulturkonsum-Barometer haben die Forscher etwa die Frage gestellt: „Was fällt Ihnen spontan ein, wenn sie den Ausdruck »Hundertjahrfeier der Großen Vereinigung« hören?“ 47% der Befragten haben darauf mit „Ich weiß nicht“ geantwortet, 8% haben überhaupt keine Angabe gemacht und 45% haben unterschiedliche Standpunkte zum Ausdruck gebracht, die meisten davon auf den Zeitpunkt der Vereinigung Siebenbürgens mit dem Königreich Rumänien am 1. Dezember 1918 bezogen. Demzufolge gebe es „kein klar definiertes Bild im öffentlichen Bewusstsein über die Bedeutung dieses Jubiläums“ – lautete die Schlussfolgerung der Autoren der Studie. Unter diesen Voraussetzungen wollten wir herausfinden, welche Rolle die Hundertjahrfeier spielt, bezogen auf die Art und Weise, in der die Menschen diese lokale oder nationale Identität aufbauen. Auf die Frage versucht Anda Becuţ Marinescu zu antworten, sie ist Leiterin der Forschungsabteilung beim INCFC.

 

„In diesem Zusammenhang ist die Hundertjahrfeier insofern relevant, als das Jubiläum sich auf Ereignisse bezieht, die für die eine oder andere Gemeinschaft von Bedeutung sind. Zum Beispiel die Denkmäler der im Krieg gefallenen Helden in verschiedenen Ortschaften. Es ist eine Art Denkmal, das im Kulturerbe landesweit recht verbreitet ist. Entsprechend dem Ausmaß, in dem anlässlich des 100. Jahrestages Veranstaltungen mit Bezug zu dieser Art von Denkmal stattfinden, kann das bei der lokalen Gemeinschaft  mehr Anklang finden. Es kann ein Festakt sein, da diese Ereignisse in einigen Fällen an erster Stelle der Vorlieben der Menschen stehen. Es können außerdem auch Gedenkveranstaltungen sein.“

 

 

Übrigens ist das Thema Verwertung der lokalen Gemeinschaften eine der weiteren Überraschungen des letzten Kulturkonsum-Barometers: 65% der Rumänen identifizieren sich durch die Zugehörigkeit zur Gemeinde oder Stadt, in der sie leben. Die Erwähnung des Heimatlandes – im Sinne eines Bezugspunktes für die eigene Identität – kommt erst an dritter Stelle. Und das sei eben eine angenehme Überraschung, findet der Anthropologe Vintilă Mihăilescu.

 

„Interessant in diesem Fall war das Selbstverständnis. Die Frage, was sind Sie denn als allererstes: Rumäne, Oltenier oder Bewohner der Gemeinde XY? Die meisten Antworten lassen sich wie folgt zusammenfassen: Ich bin Bürger meines Heimatortes. Auch die europäische Identität kommt jetzt vor - 6% oder 7% berufen sich darauf – und das war in älteren Studien nicht der Fall. Allerdings scheint mir diese Wiedergeburt des Lokalen eine sehr wichtige Entwicklung zu sein. Es geht um eine Neubewertung des Lokalen oder der lokalen Begebenheiten. Es ist erfreulich.“

 

 

Unter diesen Voraussetzungen habe man davon ausgehen können, dass das lokale Erbe für die Rumänen eine Priorität darstellt. Und so ist es auch, wie die Umfrage gezeigt hat: 82% der Befragten gaben an, dass das Kulturerbe für sie persönlich wichtig ist, und 78% waren der Meinung, dass das Kulturerbe eine Bedeutung für die lokale Gemeinschaft hat. Dennoch gaben nur 31% der Befragten landesweit an, mindestens einmal im Jahr ein Kulturerbe-Denkmal besucht zu haben. Auf die Frage nach dem Profil des typischen Besuchers von Kulturerbe-Gütern gibt das Kulturkonsum-Barometer eine schematische Antwort: Der typische Besucher ist weiblich, zwischen 50 und 64 Jahre alt, mit durchschnittlicher Schulausbildung und einem überdurchschnittlichen Haushaltseinkommen.  

 

 

Die größten Widersprüche sind aber bei den Wahrnehmungen vom immateriellen Kulturerbe festzustellen, also bei den Traditionen und Bräuchen des Volkes. 90% aller Rumänen glauben, dass diese einen hohen Stellenwert in der rumänischen Gesellschaft haben, 82% meinen, dass die Einhaltung der Traditionen zu deren Entwicklung beiträgt, doch 50% gaben gleichzeitig an, dass sie auch ein Hindernis für die Entwicklung der Gesellschaft darstellen. Es handele sich hier um das Spannungsfeld zwischen Alt und Neu, zwischen dem Bedarf an Konservierung und dem Bedarf an Modernisierung, glaubt Anda Becuţ-Marinescu, während Vintilă Mihăilescu hinzufügt:

 

„Das ist eigentlich die Realität – wir pflegen einen wohlverdienten Traditionskult, aber eigentlich bezwingt der Kult der Modernisierung den der Traditionen. Und das ist absolut normal. Sie sollten nicht davon ausgehen, dass, wenn sie eine Gemeinde aufsuchen und dort die Lokaltradition wieder aufblühen sehen wollen, sie auf allgemeine Begeisterung treffen werden. Die Menschen werden eventuell höflich sein, aber sie werden hinter vorgehaltener Hand fluchen und nichts in diese Richtung unternehmen. Der Kult der Modernisierung und der der Traditionen sind irgendwie entgegengesetzt. Mit der Zeit könnten sie in Zukunft irgendwann konvergieren. Aber wir müssen uns der Voraussetzung bewusst sein, die auch von den Daten dieses Barometers gestützt wird.“

 

 

Fazit: Hundert Jahre nach der Großen Vereinigung müssen sowohl die Kulturpolitik als auch die strategische Öffentlichkeitsarbeit diese widersprüchliche Selbstwahrnehmung der Rumänen berücksichtigen.


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Publicat: 2018-05-30 17:30:00
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