Freiräume: Jugendliche aus Rumänien und Litauen über den Begriff „Freiheit“

freiräume: jugendliche aus rumänien und litauen über den begriff „freiheit“ Frei zu sein ist für die Menschen in Europa entweder zu selbstverständlich – oder hat zu viele, oft sehr unterschiedliche Bedeutungen bekommen. Das Goethe-Institut untersucht im Rahmen eines Projektes die Wahrnehmung der Freiheit durch Jugendliche.

Vierzig Goethe Institute aus Europa haben das Projekt „Freiraum“ gestartet. Der Begriff der Freiheit ist für das europäische Selbstverständnis sehr wichtig. Doch das Versprechen, das dieser Begriff lange Zeit barg, hat offenbar an Strahlkraft verloren. Frei zu sein ist für die Menschen in Europa entweder zu selbstverständlich – oder hat zu viele, oft sehr unterschiedliche Bedeutungen bekommen. Freiheit hat heute einen unscharfen Wert, die Vorstellungen von ihr prallen oft scheinbar unvereinbar aufeinander. 

 

Mit diesem Projekt setzt sich Goethe-Institut zum Ziel, ein genaues Bild der Wahrnehmung über Freiheit der europäischen Jugendlichen zu vermitteln. Die Intendantin des Goethe-Instituts in Bukarest, Evelin Hust, kommt zu Wort mit Einzelheiten über das Projekt:  

 

„Wir haben versucht, Menschen aus verschiedenen Ländern Europas zusammenzubringen und über die Idee der Freiheit nachzudenken. Ist die Freiheit heute in Gefahr? Wird die Freiheit des Denkens heute gefährdet, so wie im Fall der Türkei oder Polens? Wird auch die Freiheit gefährdet, sich für einen bestimmten Lebensstil zu entscheiden, wie im Fall Rumäniens, als die Regierungskoalition die Familie in der Verfassung umzudefinieren versuchte? Wir haben auch darüber nachgedacht, wie die Freiheit im Fall von Wirtschaftsrezession zum Ausdruck gebracht werden kann. Darüber hinaus sind wir wirklich frei? Nehmen die Versprechen der Europäischen Union in der Tat die Form unserer Freiheiten an? Ich glaube, dass die Rolle der Demokratie und die Vorteile, die sie anbieten kann, hier mit mehr Skeptizismus als im Westen angesehen werden.“

 

 

Das Projekt „Freiraum“, das die Vernetzung verschiedener europäischen Hauptstädte vorsieht, hat Bukarest und die lettische Hauptstadt Vilnius durch Auslosung zusammengebracht. Die Produzentin des Dokumentarfilms „Kinder der Freiheit“, Ruxandra Ţuchel, ist der Ansicht, dass die Wahl eigentlich besonders treffend für die heutige Idee der Freiheit gegenüber dem Kommunismus in den beiden Ländern ist:

 

„Dieses Thema ist sehr wichtig für die Idee der Freiheit. Wenn wir dieses Thema im allgemeinen Kontext des zunehmenden Populismus und Nationalismus betrachten, dann stellen wir fest, dass wir mit einem ganz ernsten Problem konfrontiert werden. Besonders interessant finde ich im aktuellen osteuropäischen Raum, dass von einer Generation zur nächsten, also von den Eltern zu den Kindern, die Geschichte irgendwie verloren geht und nicht mehr richtig verstanden wird. Die Kinder, mit denen ich mich zu diesem Thema unterhalten habe, sind 17–18 Jahre alt, und ihre Eltern, die in den Neunzigern, nach dem Fall der Berliner Mauer, vielleicht in ihren frühen zwanziger Jahren waren, haben es schwer, ihren Kindern zu erklären, dass die Welt sich verändert hat und dass die Freiheit, die man heute genießen kann, vor dreißig Jahren und früher eine Utopie war.“

 

 

Die in der Dokumentation „Kinder der Freiheit“ befragten Jugendlichen sind der Ansicht, dass die Freiheit heute als Reisefreiheit zum Ausdruck kommt. Viele erfreuen sich der Chance, im Ausland zu studieren oder zu arbeiten. Diese Freiheit zu haben sei jedoch nicht genug, denn es gibt auch zahlreiche Hindernisse, die man aus dem Weg räumen muss, um im Ausland studieren zu können – darunter die finanziellen Schwierigkeiten. Evelin Hust, Leiterin des Bukarester Goethe-Instituts, kommt erneut zu Wort mit Einzelheiten: 

 

„Die Freizügigkeit und die Freiheit, sich selbst auszusuchen, wo man studieren und leben möchte ist, meiner Ansicht nach, viel stärker heute als früher. Das betrifft aber nur die ausgebildeten Jugendlichen. In den letzten Jahren konnten wir leicht feststellen, dass sich viele Jugendlichen gesellschaftlich abgehängt fühlen, insbesondere nach der jüngsten Wirtschaftskrise, infolge derer die Arbeitslosenquote in Ländern wie Portugal, Spanien, Griechenland deutlich gestiegen ist. Es kann sein, dass die Jugendlichen in diesen Ländern sich oft fragen, wo ihre Freiheiten geblieben sind, weil es ihnen oft an den finanziellen Mitteln mangelt, um ihre Freizügigkeit zu genießen. Das kann man natürlich nicht verallgemeinern, aber ich glaube, dass die Jugendlichen manchmal ihre Freiheit als etwas Selbstverständliches sehen, denn die jüngere Generation hat die Zeiten nicht erlebt, als in Rumänien oder in der DDR die Freizügigkeit stark eingeschränkt war.“

 

 

Jenseits des Eisernen Vorhangs war das Leben der jungen Generation nicht einfach, und der Versuch, den Lebensstil der Westeuropäer zu übernehmen, konnte negative Folgen für die eigene Freiheit haben, denn in einem totalitären Regime werden die Menschenrechte missachtet oder stark eingeschränkt. Die Litauer wurden mit einer starken Russifizierung ihrer Sprache und Kultur konfrontiert. Ruxandra Ţuchel erläutert, warum die junge Generation in Litauen ein anderes Bild von Freiheit im Vergleich zu den rumänischen Jugendlichen hat: 

 

„Die Situation ist ein wenig ähnlich zu dem, was in Rumänien passiert. Wir haben natürlich die kommunistische Vergangenheit gemeinsam, aber auch Sachen, die die zwei Situationen deutlich unterscheiden, und zwar stand Litauen unter sowjetischer Besatzung. Unter solchen Umständen haben die Sprache und die nationale Kultur eine andere Bedeutung bekommen. Sie werden zu Waffen gegen diejenigen, die das Volk entnationalisieren wollen. Ich frage mich, was mit den Jugendlichen passiert, die in einem Land leben, das keinen Totalitarismus in der Nachkriegszeit erlebte, ich spreche von Frankreich oder Großbritannien. In den ex-kommunistischen Ländern zeichnet sich heute leider ein deutlicher Trend ab: Alle wollen ihr Land verlassen. Der Unterschied zwischen Rumänien und Litauen liegt jedoch darin, dass sich die junge Generation Rumäniens in anderen Ländern niederlassen will, während die Litauer in ihr Heimatland zurückkehren, nachdem sie ihr Studium abschließen.“

 

 

Die Jugendlichen in Vilnius entscheiden sich oft für ein Studium im Ausland, weil sie das litauische Schulsystem als zu theoretisch und überholt empfinden. In der Dokumentation „Kinder der Freiheit“ bezeichnen die litauischen Jugendlichen die Idee der Freiheit als die Möglichkeit, für sich selbst zu entscheiden.


www.rri.ro
Publicat: 2019-02-16 05:30:00
Vizualizari: 1839
TiparesteTipareste