Hörerpostsendung 22.09.2013
Heute mit Zuschriften von Ralf Urbanczyk und Eckhard Röscher sowie mit einem bebilderten Reisebericht aus der Norddobrudscha.
Sorin Georgescu, 24.09.2013, 19:01
Mir ist aufgefallen, dass ich Ihnen Anfang September gar nichts über meinen Urlaub erzählt habe, umso mehr ich dieses Jahr in einer Gegend war, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen hatte. Der Zufall wollte es, dass sich unser Hörerfreund Ralf Urbanczyk (aus Eisleben, Sachsen-Anhalt) gerade für diese Region interessiert. Ende August schrieb er uns:
Mit Interesse hörte ich in der Radiotour den Bericht über die Touristengebiete an der rumänischen Schwarzmeerküste. Mir ist aufgefallen, dass die Region zwischen dem Donaudelta und Mamaia mit der langgestreckten Landzunge am Schwarzen Meer und den großen Seen Sinoe, Goloviţa und Razim so gut wie gar nicht touristisch beworben wird. Einmal so ganz direkt gefragt: Gibt es dort nichts Interessantes zu entdecken? Lohnt sich ein Ferienaufenthalt in dieser Gegend oder sollte man dann doch lieber direkt ins Donaudelta oder an die recht überlaufene Schwarzmeerküste südlich von Mamaia fahren?
Vielen Dank für Ihre Frage, lieber Herr Urbanczyk. Und ob es in der Region zwischen Mamaia und dem Donaudelta Interessantes zu entdecken gibt. Wie gesagt habe ich gerade dort Urlaub gemacht. Dass die Region nördlich von Mamaia kaum beworben wird, hängt damit zusammen, dass es dort nur wenige Unterkunftsmöglichkeiten gibt und die touristische Infrastruktur noch sehr schwach ist im Vergleich zu den rappelvollen Stränden beginnend mit Mamaia bis an der südlichen Grenze zu Bulgarien.
Nun, ich war diesen Sommer nördlich von Mamaia, man fährt an der Raffinerie in Năvodari vorbei und gelangt in zwei Dörfer namens Corbu und Vadu, die bis vor wenigen Jahren noch als Geheimtipp für alternative Urlauber galten. Viele sprachen sogar davon, dass die Dörfer eine Art neue Doi Mai und Vama Veche seien, die zwei Ortschaften südlich von Mangalia und kurz vor der bulgarischen Grenze, die ich im Funkbriefkasten vom 9. September 2012 beschrieben hatte. Den Orten bleibt (außer an Wochenenden) der Massentourismus tatsächlich erspart, es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis auch diese Region touristisch erschlossen wird. Schon jetzt kommen an Wochenenden viele Neureiche mit dicken Geländewagen direkt an den Strand, stellen Boxen auf die Haube, drehen die Musik laut auf, feinden Nacktbadende an und lassen ihren Dreck einfach liegen. Unter der Woche ist es aber meistens ruhig, der Sand ist fein und die Landschaft schön.
Fotostrecke Corbu:
Ohne Auto oder Fahrrad sind die Strände vom Dorf aus allerdings nur schwer zu erreichen, in Corbu ist der Strand 4 Km entfernt, in Vadu sogar 7 Km. Die schmalen und überwiegend einspurigen Straßen sind nur teilweise asphaltiert, folglich muss man entweder ein starkes Auto haben oder ein erfahrener Fahrer sein, um nicht im Sand oder — nach Regen — in aufgeweichter Lehmerde stecken zu bleiben. In beiden Dörfern gibt es in Strandnähe je ein Restaurant mit Fischspezialitäten, allerdings scheinen sich die Betreiber nicht sonderlich um genügend Fischfang zu sorgen, schon donnerstags gehen ihnen die Fischgerichte aus und dann muss man bis zum Wochenende eben etwas anderes essen.
Die nahe gelegene Raffinerie in Năvodari scheint beinahe stillgelegt zu sein, ich habe Flammen nur auf einem der vielen Schlottürme gesehen, wenn der Wind gen Norden weht, spürt man ein wenig vom Geruch, allerdings nur in Corbu. Vadu liegt wie gesagt etwas weiter, dort fährt man bis zum Strand an einer stillgelegten Fabrik für seltene Metalle vorbei, den hässlichen Betonklotz sieht man schon aus weiter Entfernung. In den 1960er Jahren soll man in der naheliegenden Sanddüne Chituc uranhaltigen Sand vermutet haben, so dass man mit Beginn der 1980er die Fabrik errichtete, um Titan und Zirkon zu fördern. Ob seltene Metalle tatsächlich vorhanden waren und wieviel davon gefördert wurde, ist recht umstritten, auch sind die Geschichten über ehemals dort Beschäftigte, die an Strahlenkrankheiten gestorben wären, im Bereich der Gerüchteküche geblieben, ohne jemals mit glaubwürdigen Dokumenten belegt worden zu sein.
Fotostrecke Vadu:
Sehenswertes gibt es auch, wenn man weiter nördlich fährt, man muss es eben nicht allein auf Strände abgesehen haben. Die in der Nähe des heutigen Dorfs Istria (Landkreis Constanţa) befindlichen Ruinen der alten Siedlung Histria (vom antiken Namen der Donau „Istros“ abgeleitet) sind eine Besichtigung wert.
Mitte des 7. Jh. v. Chr. von griechischen Kolonisten aus Milet gegründet, erlebte die Stadt in ihrer 1300-jährigen Existenz mehrere Blütezeiten als Hafen am Schwarzen Meer, da der Binnensee Sinoe, an dessen Ufer die Ruinen heute liegen, damals eine Lagune des Meers war.
Mehrere Einflüsse und Epochen lösten einander ab, als Teil der Römischen Provinz Moesia Inferior und später Scythia bestand die Stadt bis Anfang der frühbyzantinischen Zeit fort. Mit den Goteneinfällen ab Mitte des 3. Jh. n. Chr begann der Niedergang, Plünderungen der Awaren und Slawen bewirkten schließlich Anfang des 7. Jh. die Aufgabe der Stadt.
Der Standort Histria wurde 1868 vom französischen Archäologen Ernest Desjardins ausfindig gemacht, Ausgrabungen begannen aber erst 1914 unter der Leitung des rumänischen Forschers Vasile Pârvan. Die Ausgrabungen gelten auch heute als nicht abgeschlossen, entlang der Jahrzehnte wurden immer wieder neue interessante Entdeckungen gemacht. Ein guter Teil der thrakischen, griechischen, römischen und byzantinischen Artefakte sind im Museum im Eingangsbereich zu sehen.
Wer sich für alte Steine nicht sonderlich interessiert oder Hunger kriegt, ist im gegenüber dem Museum liegenden Restaurant (Fischspezialitäten) gut aufgehoben. Die Preise sind für rumänische Verhältnisse etwas gepfeffert, probieren sollte man aber auf jeden Fall die aufs Haus gehende angebotene Beilage namens „picanterie“ — ein nicht allzu scharfer Aufstrich aus allerhand Gemüse, Grünzeug, Walnuss und Pinienknospen (insofern man mir tatsächlich das vollständige Rezept verraten hat).
Fotostrecke Histria:
Ein weiterer eintägiger Ausflug in Richtung Norden brachte mich in den benachbarten Landkreis Tulcea zu den Ruinen der Festung Enisala. Mitte des 14. Jh. errichteten reiche Kaufleute aus Genua eine Festung auf einem Hügel am Ufer des heutigen Razim-Sees, damals noch eine Bucht des Schwarzen Meers. Die Genuaner besaßen ein Monopol auf die Handelsrouten über das Schwarze Meer und waren somit interessiert, die Schiffahrt in der Region zu überwachen. In den Portulanen (Segelhandbüchern) der Zeit tauchen die Namen Bambola oder Pampolo auf, die wahrscheinlich die Festung bezeichneten. Sie war Teil eines Systems von Befestigungsanlagen im Norden der Dobrudscha. Doch bereits vor den Genuanern dürften schon die Byzantiner an der Region interessiert gewesen sein, das Haupttor mit doppelter Arkade und die dazugehörige Bastei zeugen von orientalisch-byzantinischen Einflüssen.
1397-1418 war die Dobrudscha im Besitz des walachischen Woiwoden Mircea der Ältere, die Festung diente somit als Verteidigungsanlage des mittelalterlichen Fürstentums Walachei. In den Jahren 1419-1420 wurde die Dobrudscha von den Osmanen erobert, die Festung zu einer türkischen Garnison unter dem Namen Yeni-Sale umfunktioniert. Der Name Enisala (auch Yeni-Sale, Enişala) bedeute nach einigen Meinungen „Neue Verkündung“ im Türkischen, nach anderen Meinungen soll es eine Mischung aus dem türkischen Wort „yeni“ (neu) und dem slawischen Wort „selo“ (Dorf, Siedlung) sein.
Bis zum 16. Jh. bildeten sich die Sandbänke, die Razim (Razelm) zu einem Binnensee werden ließen, die osmanische Herrschaft war bereits weiter nach Norden ausgedehnt, so dass die Festung nach und nach an militärischer Bedeutung verlor. Gegen Ende des 17. Jh. wurde sie verlassen.
Die Aussicht vom Hügel ist wunderschön, man fühlt sich wie am Anfang oder Ende der Welt. Auch die Fahrt ist ein Augenschmaus: Sie führt teils über karge Landschaften, wie sie in der Dobrudscha typisch sind, teils über grüne Hügel oder an weiten Raps- und Sonnenblumenfeldern und am Babadag-Wald vorbei. Seit einigen Jahren sieht man in der Ferne auch viele Windkraftanlagen des Windparks in Fântânele-Cogealac.
Fotostrecke Enisala:
Alle oben stehenden Fotostrecken lassen sich mit wenigen Mausklicken auch in Großansicht bzw. direkt bei Flickr betrachten.
Zum Schluss möchte ich noch die Zeilen verlesen, die wir von unserem Hörer Eckhard Röscher (aus Dessau-Roßlau, Sachsen-Anhalt) erhielten:
Liebe Mitarbeiter der deutschen Redaktion von RRI,
Heute möchte ich wieder die Gelegenheit nutzen, um Ihnen einen neuen Empfangsbericht zu senden.
Die Empfangsbedingungen auf 7300 kHz sind nach wie vor ausgezeichnet hier in meiner Heimatstadt Dessau. Somit konnte ich Ihre inhaltsreiche Sendung wieder problemfrei genießen. Darin gab es jede Menge Kultur, aber auch Natur, wie z.B. der Beitrag über den Nationalpark Cozia. Und solche Reportagen interessieren mich ganz besonders.
Der Kinderchor des rumänischen Rundfunks hat mir ausgezeichnet gefallen. Ich bewundere immer wieder derartige Fähigkeiten, da ich vollkommen unmusikalisch bin. Die weiteren Beiträge über das Musikfestival und über den Nationalpark trafen ebenfalls meinen Geschmack. Somit haben Sie wieder dafür gesorgt, dass diese Stunde sehr schnell vergangen ist.
An dieser Stelle möchte ich wieder das gesamte Team grüßen und ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer interessanten Arbeit wünschen.
Lieber Herr Röscher, vielen Dank für Ihre Hörertreue und auch von uns einen schönen Gruß nach Dessau.
Zeit für die Posteingangsliste. Postbriefe lese ich mir erst für kommenden Sonntag durch. E-Mails erhielten wir bis einschließlich Sonntagmittag von: Anna, Bernd und Willi Seiser, Petra Kugler, Fritz Andorf, Hendrik Leuker, Norbert Hansen, Rolf Endris, Heinrich Eusterbrock, Werner Hoffmann, Dieter Feltes, Günter Jacob (alle aus Deutschland) und Gérard Koopal (Niederlande).
Das Internetformular nutzten Claudio Alfredo Martijena (Argentinien), Hans Verner Lollike (Dänemark), Ronny Weiner (Deutschland).
Audiobeitrag hören: