Desinformation in der Ära Künstlicher Intelligenz
Informationen rasen heute in einem Tempo um den Globus, das noch vor Kurzem unvorstellbar war. Jeder kann eine Botschaft in Sekunden an riesige Gruppen schicken, soziale Netzwerke vervielfältigen Ideen im Dauerlauf – und mit ihnen wächst die Desinformation. Sie hat neue Formen angenommen: ein globales, oft finanziertes und koordiniertes Phänomen, das Wahlen beeinflussen, Gesellschaften spalten oder internationale Beziehungen belasten kann. Forschende sprechen von einem Krieg um Köpfe und Wahrnehmungen – einem unsichtbaren Krieg.
Corina Cristea, 05.12.2025, 17:07
Universitätsprofessorin Dr. Alina Bârgăoanu ist Mitglied im Beirat des Europäischen Observatoriums für digitale Medien und Expertin für die Bekämpfung von Desinformation): „Was ich gleich zu Beginn betonen würde, ist die wachsende Vielfalt der Mittel, mit denen dieser Informationskrieg geführt wird – Desinformation, Propaganda, feindliche Einflusskampagnen, Cyberangriffe, der algorithmische Krieg, die Datensammlung für Microtargeting bis hin zur Hyperpersonalisierung. Nicht nur Desinformation ist hier relevant, das Arsenal ist viel komplexer. Zweitens: Dieses Phänomen ist als ‚unsichtbarer Krieg‘ bezeichnet worden – und das stimmt nur teilweise. Es ist eine eher hinterhältige Form der Auseinandersetzung, die gleichzeitig unsichtbar UND sehr sichtbar ist. Ich finde, dass die antiwestlichen Narrative fast sogar zum Ambiente geworden sind. Sie sind überall und nirgends. In jeder Unterhaltung zeigt irgendjemand aus dem Freundes- oder Kollegenkreis, dass er davon beeinflusst wurde. Gleichzeitig kann man kaum sagen, wo man sie genau gesehen oder gehört hat. Es ist also ein sichtbarer und unsichtbarer Krieg. Und nach meinen Beobachtungen rücken EU und NATO immer stärker in den Fokus – besonders einige EU-Mitgliedstaaten. Dieser Krieg ist schwer ans Licht zu holen, aber sobald man ihn untersucht, sieht man, wie ausgefeilt die Techniken sind, wie gut die Algorithmen trainiert sind und wie viel künstliche Intelligenz eingesetzt wird.“
Was früher ganze Teams, viel Zeit und hohe Budgets brauchte, kann heute dank künstlicher Intelligenz eine einzelne Person leisten: Tausende überzeugende Botschaften in wenigen Stunden. Mit dem Aufkommen der großen Sprachmodelle (Large Language Models – LLM) hat sich die Welt erneut verändert.
„Alle strukturellen Probleme können durch diese neuen KI-Technologien verstärkt werden. Erstens ermöglicht künstliche Intelligenz die Erzeugung von Inhalten mit enormer Geschwindigkeit, großer Flexibilität und starker Anpassung an lokale Zielgruppen. Geschichten und Verschwörungen müssen nicht mehr von Menschen erdacht werden; sie können automatisch erzeugt werden – schriftlich, als Audio, als Video und vor allem in der Kombination aller drei Formate. Das ist ein Aspekt. Der zweite, noch spektakulärer, ist das, was als ‚Verschmutzung großer Sprachmodelle‘ bezeichnet wird. Der englische Begriff lautet Large Language Models Grooming. Was heißt das? Der Online-Raum wird mit irreführenden Ideen überschwemmt – mit Dingen, die nie passiert sind, mit Unwahrheiten, mit extrem aufgeheizten Meinungen. Aber diese Flut soll nicht die Aufmerksamkeit der Nutzer fangen, sondern die großen Sprachmodelle infizieren, sie verschmutzen. So wird erzwungen, dass ein Chatbot wie ChatGPT auf die Frage nach den Gründen für den russischen Überfall auf die Ukraine eine Antwort gibt, die von den Narrativen geprägt ist, mit denen er infiziert wurde. Früher konnte es passieren, dass bei einer Google-Suche Links mit der offiziellen Rhetorik des Kreml auftauchten – aber man hatte eine Wahl. Man konnte mehrere Seiten prüfen. Heute fließt die Antwort eines Chatbots einfach heraus, und die Möglichkeit zum Gegencheck ist viel kleiner.“
Eine Untersuchung des Instituts für Strategischen Dialog, ein Prompting-Experiment zu Fragen über die Ukraine mit den größten Sprachmodellen – ChatGPT, Grok, Gemini und DeepSeek –, zeigte laut Bârgăoanu, dass bei allen vieren 18 Prozent der Antworten mit der offiziellen Rhetorik der Russischen Föderation übereinstimmten, also von den Modellen übernommen worden waren.