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Armutsbekämpfung: Rumänien Schlusslicht in der EU

Statistiken der EU, der Weltbank und der UNICEF platzieren Rumänien auf einen der hinteren Plätze in Sachen Armutsbekämpfung und soziale Ausgrenzung. Zudem würden rumänische Behörden oft leugnen, dass es extreme Armut gibt, sagt ein hoher UN-Beamter.

Armutsbekämpfung: Rumänien Schlusslicht in der EU
Armutsbekämpfung: Rumänien Schlusslicht in der EU

, 18.11.2015, 18:27

Statistiken der EU, der Weltbank und der UNICEF platzieren Rumänien auf einen der hinteren Plätze in Sachen Armutsbekämpfung und soziale Ausgrenzung. Darauf verwies bei seinem letzten Besuch in Bukarest auch Philip Alston, UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte.



Die Sozialhilfeprogramme der Regierung für die armen Bevölkerungsschichten gehören zu den schlechtesten in ganz Europa. Mir wurde oft gesagt, dass die Armut eine Entscheidung darstellt. So ist es, aber in den meisten Fällen ist es eher die Entscheidung der Regierungen als die der Menschen, die in Armut leben. Die Gesellschaft im heutigen Rumänien ist zutiefst gespalten. Und es ist nicht nur die Kluft zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. Es geht um die Kluft zwischen den über 40%, die an der Armutsgrenze leben, und dem Rest der Bevölkerung. Der Wohlstand der letzteren steht im Mittelpunkt der Regierungstätikeit.“




Nach 1990 haben sich die sozialen Unterschiede allmählich vergrö‎ßert. Und das spürt ein Gro‎ßteil der Bevölkerung und wird von den Soziologen anerkannt. Soziologen haben eine sehr gro‎ße ökonomische Kluft zwischen einer sehr reichen Minderheit und der restlichen Bevölkerung, einschlie‎ßlich der Durchschnittsverdiener, festgestellt. Bei den letzteren können Statistiken, egal wie aufschlussreich sie sind, auch täuschen. Denn sie sagen überhaupt nichts aus über den Alltag der Menschen, weder den der Armen noch den der Bürger, die statistisch gesehen durchschnittliche Einkommen beziehen.



Als Beispiel: Das durchschnittliche Monatsgehalt beträgt in Rumänien umgerechnet circa 400 Euro, was nach westeuropäischen Standards unzureichend ist. Und diese Summe sei auch für die meisten Rumänien unzureichend, die nach westlichen Standards streben, erklärt Mihai Dumitru, Forscher am Institut für die Erforschung der Lebensqualität.



Wie Sie wissen, hat Rumänien das beinahe niedrigste Durchschnittseinkommen in der Europäischen Union. Also reden wir hier von einem grundlegenden Problem für das Land. Die Armut hat vor allem aufgrund der sozialen Vergleiche schwere Folgen. Rumänien ist nicht nur ein armes Land — aus Sicht der Einkommen also — nein, es ist auch das Land mit den fast grö‎ßten sozialen Ungleichheiten in Europa. Es leben hier Menschen, die früh morgens noch nicht wissen, wie sie an dem Tag zu ihrem Essen kommen werden. Es herrscht diese Ungewissheit über die Befriedigung von Grundbedürfnissen.“




Zudem sei die Situation der Kinder in Rumänien Grund zur Sorge, glaubt Philip Alston.



48,5% der Kinder leben an der Armutsgrenze und sind von sozialer Ausgrenzung bedroht. Diese Zahlen müssten als oberste Priorität auf der Agenda einer jeden Regierung stehen. Vor allem die Situation in ländlichen Gebieten ist besonders schwerwiegend, wie ich bei meinen Besuchen vor Ort beobachten konnte. Au‎ßerdem sind 40% der Kinder in den Kinderheimen wegen der Armut dort eingewiesen worden.“




Die Warnzeichen hinsichtlich der Lebensbedingungen der Kinder lassen sich mit dem demografischen Problem verknüpfen. Die Bevölkerung Rumäniens ist seit 1990 bis heute von 23 auf 20 Millionen Menschen geschrumpft. Es besteht also die Gefahr, dass die Erwerbstätigen von heute in Zukunft als Rentner in Armut leben werden. Heute entsprechen einem Rentner 1,1 Erwerbstätige, die ihre Sozialbeiträge zahlen. Wenn die 30-35-Jährigen von heute das Renteneintrittsalter erreicht haben werden, wird jeder nur noch von circa 0.77 Beitragszahlern unterstützt werden.



Unterdessen sind die Ma‎ßnahmen der Politik zur Ankurbelung der Geburtenrate nicht unbedingt erfolgversprechend. Eben die jungen Frauen, die nicht an der Armutsgrenze lebten, hätten Vorbehalte, wenn es ums Kinderkriegen gehe, sagt Demografie-Experte Traian Rotaru.



In Rumänien haben etwa die Hälfte aller Kinder angestellte Mütter, die Mütter der restlichen Hälfte beziehen kein Gehalt. Viele der arbeitslosen Mütter stammen aus den armen Schichten, aus ländlichen Gebieten, andere sind jung und ledig, das hei‎ßt, es gibt keinen Vater, der finanziell für die Kinder aufkommt. Zusätzlich leben viele Frauen auf dem Lande nur vom Kindergeld. Für die Frauen mit drei oder vier Kindern ist das ein Mittel zum Überleben. Andererseits bräuchten die anderen 50% der Kinder, die eine verdienende Mutter haben, eine weitere Unterstützung, zusätzlich zu dem sehr geringen Kindergeld, mit dem man nur wenige Nebenkosten decken kann.“




Nicht zuletzt dürfe man die Situation der Roma-Minderheit nicht vernachlässigen. Deren Integration könnte sich laut Philip Alston als effizient erweisen.



90% der Roma-Haushalte kämpfen mit schwerwiegenden materiellen Entbehrungen. Es gibt zahlreiche Berichte über die Probleme dieser Minderheit, aber was mich verwundert hat, ist die Tatsache, dass eine ganze Reihe von Amtsträgern mir gegenüber erklärt haben, dass es überhaupt kein Roma-Problem gebe. Und sie waren überzeugt davon. Die Roma würden auch nicht diskriminiert. Laut Statistiken ist einer von fünf Erwerbstätigen in Rumänien Mitglied der Roma-Gemeinschaft. Das bedeutet, dass, wenn diesen Menschen nur die Müllhalde vorbehalten bleibt, 25% der potentiellen Arbeitskraft verloren gehen. Demzufolge gibt es auch sehr starke wirtschaftliche — ja gar egoistische — Argumente zugunsten einer grundlegenden Änderung der Roma-Politik.“




Wirtschaftliche Effizienz müsse also mit ebenso effizienten sozialen Politiken verknüpft werden, jedoch auch mit der Bekämpfung der Korruption, findet Philip Alston.



Bei der Korruptionsbekämpfung hat man bei den bekannten Fällen erhebliche Fortschritte gemeldet, aber die Fälle von milder Korruption in Verbindung mit dem Zugang zu oder dem Ausschluss von sozialen Dienstleistungen bleiben bestehen. Man geht davon aus, dass, wenn ein Land wie Rumänien nicht genügend investiert, um die sozialen Probleme zu beheben, das Land ganz einfach nicht über die notwendigen Finanzmittel verfügt. Allen voran muss gesagt werden, dass es genügend Geld gibt. Und zweitens gibt es ganz ernste Gründe, warum nicht sogar mehr Geld zur Verfügung steht. Die Steuererhebung ist sehr schwach, während Steuerhinterziehung und Korruption sehr verbreitet sind. Das schränkt die Steuereinnahmen der Regierung ein.“




Für den notwendigen sozialen Schutz der Bürger muss also mehr getan werden, ist die Schlussfolgerung unserer Gesprächspartner: Das Wirtschaftswachstum muss von einer effizienten Korruptionsbekämpfung begleitet werden.

(foto: Anqa / pixabay.com)
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