Mütter im Kindesalter: ein Teufelskreis, der sich reproduziert
Krasse Armut, fehlende Erziehung, Desinteresse und niemand, der ihnen erklärt, wie der weibliche Körper funktioniert. Die klassische Konstellation, die dazu führt, dass extrem junge Mädchen schwanger werden und Kinder auf die Welt bringen.
Luiza Moldovan, 10.11.2021, 17:15
Rumänien belegt EU-weit den ersten Platz in der Zahl der minderjährigen Mütter im Verhältnis zur weiblichen Gesamtbevölkerung. Gabriela Alexandrescu, geschäftsführende Leiterin der NGO Save The Children“ kennt die Hintergründe, die dazu geführt haben:
EU-weit sind fast ein Viertel aller Mütter im Teenie-Alter in Rumänien zu finden, genauer gesagt 23% der Mütter, die unter 19 Jahre alt, also nicht volljährig sind. Mehr noch: Rumänien belegt den ersten Platz in der EU, was die Zahl der Mütter im zarten Alter von unter 15 Jahren anbelangt, und den zweiten Platz — nach Bulgarien –, was Mütter unter 19 Jahren betrifft. Allein auf Rumänien heruntergebrochen, werden 10% aller Geburten bei Müttern im Teenager-Alter verzeichnet. Viele dieser werdenden Mütter stammen aus Ortschaften, wo es überhaupt keine oder nur wenige Familienärzte gibt. Die Mädchen greifen während der Schwangerschaft oft auf Selbstmedikation, also auf Selbstbehandlung mit Medikamenten zurück, gehen nicht zum Arzt, um sich untersuchen zu lassen, oder machen einen Arzttermin erst dann aus, wenn es Komplikationen gibt oder wenn sich ihr Gesundheitszustand dramatisch verschlechtert. »Save The Children« hat sich hier aktiv eingebracht und wir helfen den werdenden Müttern und ihren Kindern im Rahmen von vier unterschiedlichen Programmen. Erstens geht es um die zeitgemäße technische Ausrüstung der Entbindungskliniken, der Sektionen für Pädiatrie und Neugeborene in Krankenhäusern; zweitens geht es um die Bildung von Hilfsnetzwerken für junge Mütter und ihren Nachwuchs im ländlichen Milieu; drittens organisieren wir Fortbildungskurse für Berufshelfer, in erster Linie für medizinische Teams, die mit minderjährigen Schwangeren und Müttern arbeiten; und viertens entwickeln wir Programme für die Gesundheitserziehung, wir fördern Forschungsprogramme und veranstalten Debatten mit Experten und Behörden, um bei Bedarf eine Änderung der Sozialpolitik und der Gesetzeslage zu bewirken. Bislang haben wir mit mehr als 65.000 schwangeren Mädchen unter 15 Jahren gearbeitet, und man sieht schon die Früchte dieser Arbeit. Wir gehen jedes Jahr auf 46 Gemeinden zu, dabei haben wir gemischte Teams aus medizinischen Assistenten, Sozialhelfern und Psychologen im Einsatz, die die Realitäten vor Ort und die Bedürfnisse der jungen Mütter und ihrer Kinder kennen.“
Das Phänomen der Schwangerschaft in äußerst jungen Jahren sei jedoch auch sozial — innerhalb der Familie — von Generation zu Generation übertragbar, sagt Oana Motea, Gesundheitsexpertin bei UNICEF Rumänien:
Die Schlussfolgerung des Anfang des Jahres veröffentlichten UNICEF-Berichts ist klipp und klar: Schwangerschaften bei Teenie-Müttern im Alter von über 15 Jahren könnten durch Erziehung und Familienplanung im sozialen Umfeld der jungen Frauen und Männer vermieden werden. Das Phänomen der Schwangerschaft in viel zu jungen Jahren ist ein zyklisches und wiederholt sich oft in derselben Familie, es springt von Generation auf Generation über und reproduziert somit auch die prekäre wirtschaftliche, soziale und gesundheitliche Lage der Familie. Der Staat hat seine Rolle in der Familienplanung der jungen Generationen und in der Prävention von Schwangerschaften bei Minderjährigen komplett verkannt. Wir brauchen hier gut aufeinander abgestimmte Staatstätigkeiten für Reproduktionsgesundheit und öffentliche Kampagnen für die Sensibilisierung der Gemeinschaften, die an die Psyche und emotionale Welt der Teenager angepasst sind.“
Mütter im Kindesalter oder Kinder, die Kinder kriegen — so werden in Rumänien die jüngsten Mütter genannt. Die Daten über Rumänien aus dem UNICEF-Bericht seien schockierend, führt die Gesundheitsexpertin Oana Motea weiter aus:
2019 wurden mehr als 16.600 Schwangerschaften bei Teenagern registriert. Das war zwar eine Abnahme um 9% im Vergleich zu 2018, doch zugleich wurde eine 11-prozentige Zunahme der Schwangerschaften im Alter von unter 15 Jahren in den Regionen Nordwesten und Nordosten verzeichnet. Diese Zahlen zeigen deutlich, wie weit verbreitet dieses Phänomen ist und wie wichtig Erziehungsmaßnahmen für alle Teenager sind, die auf ihre Kommunikationskanäle und ihre Bedürfnisse abgestimmt sind.“
Doch wie kann man das Problem der ungewollten Schwangerschaften in jungem Alter angehen? Gabriela Alexandrescu von Save The Children“ glaubt, nur mehr Arztpraxen und gezielte Programme im ländlichen Milieu könnten das Problem lindern:
Wir haben unlängst zusammen mit den Behörden eine Studie über Frauen im Teenager-Alter aus benachteiligten Milieus durchgeführt. Wir haben 46 Gemeinschaften in der Zeitspanne Juli–August 2021 unter die Lupe genommen, und die Ergebnisse sind erschreckend: Es gibt gravierende Mängel in der gesundheitlichen Versorgung der werdenden und jungen Mütter. In ländlichen und benachteiligten Gemeinden liegt das Durchschnittsalter der ersten Geburt bei 16 Jahren und drei Monaten. Wenn noch mehr Kinder hinzukommen, so ist das Durchschnittsalter bei der zweiten Geburt 18 Jahre und ein Monat; bei der Geburt des dritten Kindes sind diese Frauen im Schnitt 19 Jahre und fünf Monate alt. 40% der schwangeren Teenager und jungen Mütter haben sich nie ärztlich untersuchen lassen, entweder weil es keine Gesundheitseinrichtung im Ort gibt oder weil sie sich eine Untersuchung finanziell nicht leisten können. 87% der Teenager in diesen Milieus kennen keine Verhütungsmethoden, 72% der jungen Mütter berichten, dass sie in äußerst bescheidenen Verhältnissen wohnen — in einem oder höchstens zwei Räumen, oft zusammen mit Personen aus anderen Familien. 55% der Befragten sagten auch, dass ihr Einkommen nicht einmal für die Grundbedürfnisse ausreiche und dass sie daher auf das Kindergeld angewiesen seien. Es gibt sogar junge Frauen, die knapp vor dem 25. Lebensjahr das fünfte Kind gebären. Das ist eine äußerst besorgniserregende Situation.“
Die NGO Save The Children“ hat ihre Tätigkeit auch auf die Moldaurepublik ausgeweitet und hofft auf denselben Erfolg der Kampagnen auch im Nachbarland, sagt die geschäftsführende Vorsitzende Gabriela Alexandrescu:
Wir wollen unser Erfolgsmodell in Rumänien auch auf die Moldaurepublik übertragen, wo wir mit dem Verein »Gesundheit für Jugendliche« sowie mit dem Info- und Dokumentationszentrum für Kinderrechte in der Hauptstadt Chișinău zusammenarbeiten. Beginnend mit diesem Jahr werden wir integrierte Gemeinschaftsprogramme in 16 Landkreisen Rumäniens und 15 Rayons in der Moldaurepublik durchführen. Dieses Vorgehen ist auch in weitergehender Hinsicht von Bedeutung für die Gesundheit der Frauen im Teenager-Alter. Es ist bekannt, dass Schwangerschaft in sehr jungen Jahren mit gesundheitlichen Risiken verbunden ist — sie kann zu hohem Blutdruck, Anämie, Frühgeburt, postnataler Depression oder untergewichtigen Babys führen. Hinzu erhöht eine verfrühte Mutterschaft das Risiko des Schulabbruchs, des Abdriftens in Armut und der Übertragbarkeit dieser Lebensweise auf künftige Generationen. Aus diesem Grund stehen unsere Experten und Berater in ländlichen und benachteiligten Gemeinschaften in ständigem Kontakt sowohl zu den Teenagern als auch zu deren Familien. Es ist sehr wichtig, mit diesen jungen Frauen unmittelbar zu kommunizieren.“