Theaterwelt: Nachwuchsschauspieler in staatlichen Theatern kaum gefördert
Eine starre Gehaltspolitik und unzureichende Stellen in staatlichen Theatern macht vielen jungen Schauspielern das Leben schwer. Viele spielen daher in unabhängigen Theaterproduktionen.
Luana Pleşea, 28.10.2015, 17:58
In der Theaterwelt scheint im Oktober dieses Jahres mehr als in anderen Jahren los zu sein. Im Rahmen mehrerer Festivals kann man Inszenierungen der staatlichen Theater und unabhängige Aufführungen sehen, auf die Bühne steigen berühmte Darsteller, sogenannte Publikumslieblinge, und Schauspieler, die sich am Anfang ihrer Karriere befinden. Dieser Tage findet man bei den Aufführungen im Rahmen des Nationalen Theaterfestivals sehr viele junge Darsteller oder Studenten der Theaterakademie, die als Zuschauer gekommen sind. Man muss sich natürlich fragen, welchen Weg sie gehen werden, wie die Lebensumstände und Berufschancen des rumänischen Darstellers ausschauen. Die rumänische Theaterwelt scheint dort zu sein, wo die westliche Theaterwelt vor 40-50 Jahren war. Das meint zumindest die Theaterkritikerin Cristina Modreanu:
Wir befinden uns auf einem Weg, hoffentlich auf dem guten Weg. Aber derzeit ist das System starr, zumindest in der Theaterwelt. Seit ein paar Generationen können die jungen Absolventen — das sind jährlich mindestens 150 pro Jahr im ganzen Land — keine Anstellung in den Theatern finden, weil die Stellenanzahl starr festgelegt ist. Das bedeutet, dass theoretisch sehr viele Freiberufler produziert werden, und dies in einem System, in dem die Freiberufler weder gesetzlich noch logistisch gefördert werden. Es ist schwer, sich allein durchzusetzen, weil es nicht genügend Ressourcen für diese parallele Welt, die mittlerweile entstanden ist, gibt. Ich glaube, das ist das Hauptproblem: Es gibt keine Koordinierung zwischen dem Bildungssystem, das Künstler im Theaterbereich produziert, und den Institutionen im Kulturbetrieb, die diese Arbeitskraft aufnehmen müssten. Sie müssten zusammen arbeiten, damit keiner seine Energie vergeudet. Man müsste neue Strukturen schaffen, die diesen jungen Leuten eine Chance anbieten könnten. Manche haben sich für einen Beruf, den sie nie ausüben werden, vorbereitet.“
Sehr viele Theater-Absolventen, manche aus eigenen Stücken, die meisten aber, weil sie es nötig haben, wählen den Weg des unabhängigen Theaters. So auch Raluca Aprodu, eine Schauspielerin, die seit ein paar Jahren die Freiheit als unabhängige Künstlerin mit allen Vor- und Nachteilen genießt. Sie spielt in Aufführungen der unabhängigen Theater, aber auch in staatlichen Theatern und wurde beim Publikum auch dank ihrer Filmrollen bekannt. Wir haben sie gefragt, ob sie sich jemals gewünscht hat, in einer öffentlichen Institution zu arbeiten.
Da schwanke ich, das muss ich zugeben. Einerseits habe ich Angst vor einem festen Arbeitsplatz. Angst wahrscheinlich wegen Klischees, die ich immer wieder gehört habe oder die ich mir einbilde. Zugleich möchte ich auch in Filmen spielen, die Freiheit haben, weg zu gehen und auch im Rahmen von unabhängigen Theater-Projekten zu spielen. Ich weiß ganz genau, dass manche Theater damit nicht einverstanden sind und dass die Darsteller Probleme haben, freie Tage zu bekommen. Zugleich weiß ich, dass man als Angestellter in einem Staatstheater große Chancen hat, mit wichtigen Regisseuren zu arbeiten und diese kennenzulernen. Es gibt auch Vorsprechen für freie Mitarbeiter, aber im begrenzten Maße und nur für kleinere Rollen. Ich kenne Leute, die im Theater arbeiten und in drei Jahren mit allen großen Regisseuren hierzulande gearbeitet haben. Im Moment bin ich mit meiner Position zufrieden, aber wenn ich mich mit der Entscheidung über einen festen Posten konfrontieren werde, hoffe ich, die richtige Entscheidung zu treffen. Ich schwanke. Wo, das spielt auch eine wichtige Rolle. Ich würde keinen Job annehmen, ohne das Team zu kennen. Ich würde Angst haben. Aber der Angst stellt man sich!“
Auch wenn die Ressourcen im Falle der unabhängigen Projekte bescheidener sind, seien die jungen Künstler hier viel dynamischer und zukunftsorientierter, meint die Theaterkritikerin Cristina Modreanu. Sie kämpfen aber mit einer Reihe von Angelegenheiten, über die sie in der Ausbildung kaum etwas erfahren haben: Finanzierungsanträge, Projekt-Koordination, Spesenabrechnung.
Auch Lucian Vărşăndan, der Leiter des Deutschen Staatstheaters in Temeswar, eines der leistungsfähigsten und innovativsten Theater in Rumänien, meint, dass die Darsteller, die im Bereich des unabhängigen Theaters arbeiten, für den Wettbewerb besser vorbereitet sind. Deswegen unterstützt er die befristeten Arbeitsverträge in einem System, in dem der Arbeitsplatz-Wechsel eine Seltenheit ist.
Ich glaube, dass gerade die befristeten Arbeitsverträge ein Gleichgewicht herstellt zwischen der Strenge des auf Wettbewerb basierenden Systems einerseits und der Möglichkeit, ein ganzes Ensemble groß zu ziehen, andererseits. Ich sage nicht, dass ein Darsteller jeden Abend in einem anderen Theater spielen sollte. Vielmals ist dieses System der freien Mitarbeit chaotisch und führt nicht unbedingt zur Entwicklung einer Darsteller-Persönlichkeit. Ich glaube aber, dass alle von einem wettbewerbsfähigen System in den öffentlichen Theatern zu profitieren hätten, damit meine ich auch die befristeten Arbeitsverträge. Das entspricht auch der Repertoire-Strategie, denn das Repertoire kann sich von einer Spielzeit zur anderen und von einem Manager-Mandat zum anderen ändern.“
Ein weiteres Problem der staatlichen Theater sei Lucian Vărşăndan zufolge die Entlohnung der Schauspieler, die sich nicht an der erbrachten darstellerischen Leistung orientiere. Die Schauspieler erhalten ihre Gehälter und Zulagen nach Kriterien wie Dienstalter, Stellung in der Hierarchie, automatische Beförderung in bestimmten Zeitabständen — all dies ungeachtet der interpretierten Rollen, der Qualität und der Anzahl der Auftritte während einer Spielzeit. Die Gehaltspolitik im rumänischen Theaterwesen sei folglich seit Jahrzehnten erstarrt, ohne Aussichten auf eine positive Entwicklung“, so der Leiter des Deutschen Staatstheaters in Temeswar.