Gute Infrastruktur gehört zur Verteidigungsfähigkeit
Der Bedarf der EU, ihre eigene Verteidigungsfähigkeit zu stärken, ist immer deutlicher geworden. Geopolitische Entwicklungen – der Krieg in der Ukraine, der verschärfte globale Wettbewerb und Veränderungen in der US-Sicherheitspolitik – zwingen Brüssel zu einem robusteren, kohärenteren und besser abgestimmten Verteidigungsmodell. Der Wille der Union ist aus der strategischen Notwendigkeit erwachsen, bei der Sicherung des eigenen Gebiets in gerungerem Maße von anderen Akteuren abhängig zu sein.
Corina Cristea, 19.12.2025, 13:34
Die NATO bleibt zwar der zentrale Pfeiler der europäischen Verteidigung, doch den Mitgliedstaaten ist zunehmend klar, dass Europa ohne höhere, besser abgestimmte und gezielt eingesetzte Investitionen gegenüber konventionellen, hybriden, cyber- und energiebezogenen Bedrohungen verwundbar bleibt. So ist das Konzept der strategischen Autonomie entstanden – nicht als Abkehr von der NATO, sondern als ergänzende Fähigkeit. Die jüngste konkrete Initiative in diesem Sinn ist der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene sogenannte militärische Schengen-Raum. Im Mittelpunkt steht dabei die Erkenntnis, dass Mobilität entscheidend ist, wenn Reaktionszeit und Logistik über den Ausgang eines Militäreinsatzes entscheiden können. Das nötige Gegenmittel müsse bereitstehen, sagt der Journalist und Militärexperte Radu Tudor:
„Die Bedrohung wächst. Der Krieg endet nicht. Russland wird für die Sicherheit des Kontinents zur größten Gefahr, und wir müssen uns etwas schneller bewegen. Bisher haben wir unterschiedliche Geschwindigkeiten bei der Umsetzung von Projekten zur Entwicklung der Rüstungsindustrie und zur militärischen Mobilität, aber auch bei der Stationierung neuer Verteidigungssysteme an der NATO-Ostflanke. Um 50 Leclerc-Panzer nach Rumänien zu verlegen, braucht es viel zu viele Tage. Wir müssen im Ernstfall einer russischen Provokation gegen die NATO diese Zeit verkürzen, denn die Vorabstationierung von Truppen und Technik reicht nicht aus. Es müssten aus allen 31 NATO-Staaten Truppen, Technik, Waffen, Munition und Logistik kommen – das gilt für Rumänien ebenso wie für Polen oder die baltischen Staaten. Aus meiner Sicht sollte die Europäische Kommission rasch eine verbindliche Verordnung für alle Mitgliedstaaten erlassen, die innerhalb von zwölf Monaten umzusetzen ist. Das bedeutet Änderungen von Abkommen, von Rechtsvorschriften und eine Anpassung der Infrastruktur an den Transport schwerer Technik.“
Vier Ziele soll das militärische Schengen verfolgen: die schnelle Verlegung von Truppen und Ausrüstung innerhalb der EU, den Abbau grenzüberschreitender Bürokratie, die Anpassung ziviler Infrastruktur – Brücken, Bahnstrecken, Straßen und Häfen – an militärische Bedürfnisse sowie schnelle Reaktionen in Krisenlagen. Nach dem Vorschlag der Kommission sollen die Mitgliedstaaten den Durchmarsch von Truppen in Friedenszeiten innerhalb von drei Tagen ermöglichen, in Notfällen sogar innerhalb von nur sechs Stunden. Die Zollformalitäten würden vereinfacht, konkret auf eine bloße gegenseitige Meldung zwischen den Staaten reduziert.
Der Druck durch den Krieg in der Ukraine und die Aggressivität Russlands zwingt Europa zu diesem Kraftakt, der vor allem auf dem Aufbau glaubwürdiger Abschreckung beruhen muss, sagt auch der Außenpolitik-Analyst Victor Boștinaru, ehemaliges Mitglied des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments:
„Europa hat nicht vor, irgendeine offensive Handlung durchzuführen – anders als es Putin oder Peskow darstellen. Europa muss aber bei seiner Abschreckungsfähigkeit überzeugend sein. Und hier zeichnen sich mehrere Bereiche klar ab. Erstens stellt Europa zum ersten Mal tatsächlich Mittel für den Aufbau einer Verteidigungsfähigkeit bereit. Das gab es bislang nicht, doch es gibt nur noch eine Lösung, damit das europäische Projekt tragfähig bleibt: eine solide Verteidigungsfähigkeit. Zweitens muss Europa in die Produktion militärischer Ausrüstung einsteigen, die einerseits der russischen Bedrohung etwas entgegensetzen kann und andererseits zumindest teilweise die Abhängigkeit von Lieferungen aus den USA verringert. Drittens nimmt dieses ehrgeizige Projekt ziviler Infrastruktur mit doppeltem Zweck schneller Gestalt an, als wir noch im vergangenen Jahr vermutet haben. Gemeint ist der Bau von Straßen- und Schieneninfrastruktur, die sowohl dem zivilen Bereich als auch der Verteidigung dient – Infrastruktur, die hohe Lasten aushält: Autobahnen, Bahnlinien, Brücken, um den schnellen Transport von Ausrüstung und Personal in mögliche Einsatzgebiete zu ermöglichen. Nicht zuletzt erleben wir einen deutlichen Ausbau der europäischen Rüstungsindustrie, Kooperationsabkommen oder Zusammenschlüsse in Schlüsselbereichen – vom Gegenstück zu Elon Musks Satellitensystem bis hin zur Entwicklung und Produktion von Raketen und anderen Verteidigungssystemen.“
Eine höhere militärische Mobilität soll sowohl den Ausbau der Infrastruktur in den Mitgliedstaaten bedeuten als auch einen Notfallmechanismus umfassen, der vom Rat der Europäischen Union aktiviert wird, wenn in einer Krise große Konvois mit Militärtechnik und Soldaten verlegt werden müssen.