Samisdat im kommunistischen Rumänien: Die ungarischsprachige Zeitschrift „Ellenpontok“
Bis 1989 unterlagen die Presse und die Autoren in Rumänien einer strengen Zensur. Wenn sie Zeitschriften oder Romane nicht legal herausgeben durften, verbreiteten manche Samisdat-Publikationen.
Steliu Lambru, 12.03.2018, 17:30
Der einzige Samisdat im kommunistischen Rumänien, der auch über die Landesgrenzen bekannt wurde, war der ungarischsprachige Ellenpontok“ (dt. Kontrapunkte“). Er wurde von einer Gruppe ungarischer Intellektueller verfasst, gebildet aus dem Biologieprofessor Antal Károlyi Tóth aus Oradea (Großwardein) und seiner Frau, dem Dichter Géza Szőcs aus Cluj (Klausenburg) und dem Philosophen Attila Ara-Kovács, der die Idee hatte, diese Publikation im Eigenverlag herauszubringen. Ellenpontok“ wurde auch außerhalb von Rumänien dank der Unterstützung der ungarischen antikommunistischen Opposition gelesen.
Csongor Jánosi von der Bukarester Universität Bukarest erforscht den Fall des Ellenpontok-Samisdates. Er erklärte, dass die Gruppe sowohl persönliche als auch kollektive Gründe für ihr Handeln hatte.
Warum erschien dieser Samisdat in Oradea, und nicht in Cluj oder Târgu Mureş? Die Antwort ist: Neben der persönlichen Motivation der zukünftigen Redakteure war »Ellenpontok« eng mit dem gescheiterten Versuch verbunden, im Sommer 1980 in Oradea eine ungarischsprachige Kulturzeitschrift zu gründen. Die Initiatoren der Aktion verfassten ein Memo an das Zentralkomitee der Rumänischen Kommunistischen Partei und an den Schriftstellerverband in Bukarest. Sie wollten eine Redaktion nach dem Modell der Zeitschrift »Korunk« aus Cluj oder »Igaz Szó« in Târgu Mureş. Es gab auch einen Notfallplan, der vorsah, dass die Zeitschrift als Beiheft zur rumänischen Kultur- und Literaturzeitschrift »Familia« in Oradea erscheint.“
Laut Jánosi war dies der Schlüsselmoment, als die Initiatoren sagten, sie müssten etwas Illegales tun, wenn es legal nicht möglich gewesen war. Der 28-jährige Ara-Kovács überredete Szőcs, daran teilzunehmen. Das Ehepaar Toth schloss sich ihnen 1982 an. Csongor Jánosi erläutert auch die Anfänge der Zeitschrift:
Die Redaktion nahm ihre Tätigkeit im Februar 1982 auf. Die meisten Texte wurden von Ara-Kovács gesammelt, die Redakteure in Oradea waren für die Strukturierung und Vervielfältigung der Zeitschrift verantwortlich. Zudem verteilten sie die Zeitschrift in Oradea und Ungarn, und Szőcs beschäftigte sich mit dem Vertrieb in der Region Cluj und im Szeklerland. Das Prinzip der Herausgeber war, offen über die Bedingungen zu sprechen, in denen sie lebten. Ara-Kovács schrieb einen allgemeinen Text, der auf dem zweiten Umschlag jeder Ausgabe erschien. Der erste Teil dieses Textes kann als »Credo« des Magazins betrachtet werden, das ich folgendermaßen zusammenfasse: »Kontrapunkte« ist ein Samisdat-Magazin, dessen Herausgabe gelegentlich ist. Wir wollen die Menschenrechtsverletzungen in Mittel- und Osteuropa und die politische, wirtschaftliche und kulturelle Unterdrückung der Ungarn in Siebenbürgen bekannt machen.“
Als Inspirationsquelle für die Zeitschrift dienten ungarische und polnische Samisdat-Veröffentlichungen, wie auch die Oppositionsbewegungen in diesen Ländern. Ein Drittel der Artikel in Ellenpontok“ wurde aus ausländischen Samisdat-Zeitschriften übernommen, die Hälfte der Originalartikel wurde von Ara-Kovács geschrieben. Csongor Jánosi über die Herausgabe und den Inhalt des Magazins:
Die ersten sechs Ausgaben wurden in jeweils fünf Exemplaren mit einer geheimen Schreibmaschine vervielfältigt, die Ara-Kovács illegal aus Ungarn mitgebracht hatte. Da sie nicht bei der kommunistischen Polizei registriert war, konnte man sie nicht anhand der Buchstaben im Text identifizieren. Die ersten fünf Nummern wurden von Ara-Kovács geschrieben und von Ivona Tóth vervielfacht. Die 6. Ausgabe wurde dann von Antal Károlyi Tóth geschrieben. Die Nummern 7 und 8 wurden in 50 Exemplaren vom Ehepaar Tóth im Keller ihres Hauses mit einem polnischen Multiplikator vervielfacht. Die Zeitschrift hatte je nach Ausgabe zwischen 14 und 56 Seiten. Nummer 8 erschien im Oktober 1982 und war das Werk von Antal Károlyi Tóth. Es umfasst das Memorandum und den politischen Programmvorschlag. Die beiden Dokumente formulierten alternative politische Anforderungen und kritisierten die Politik der osteuropäischen Regime. Diese Dokumente sind bekannt geworden, weil sie den Botschaften der USA, Großbritanniens, Finnlands, Frankreichs, Westdeutschlands und Österreichs geschickt wurden. Die beiden Dokumente trafen beim Madrider Treffen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ein. Auf dessen Tagesordnung standen die Verbesserung der Beziehungen und die Umsetzung der Helsinki-Schlussakte.“
Zwischen März und Oktober 1982 erschienen 8 Ausgaben mit 65 Artikeln, insgesamt 293 Seiten. Die letzte Ausgabe, Nummer 9, hatte 24 Seiten. Die ungarische Redaktion von Radio Freies Europa begann dem Samisdat mehr Aufmerksamkeit zu schenken. So begann die Securitate, die Sicherheitspolizei, die Autoren der illegalen Zeitschrift aktiver zu überwachen. In kurzer Zeit, im Herbst 1982, hat die Securitate-Niederlassung in Cluj Informationen erhalten, die zur Durchsuchung der Wohnung von Szőcs führten. Bei der Durchsuchung wurde die Zeitschrift gefunden. Dann folgte das Haus der Familie Tóth in Oradea und die Wohnungen weiterer Leute, die das Samisdat besaßen. Csongor Jánosi gibt uns weiter Auskunft:
Es ist jedoch sehr interessant, dass die Redakteure der Zeitschrift nicht verhaftet, sondern auf freiem Fuß gelassen wurden; und sie durften sich auch verteidigen. Im Januar, Februar, März 1983 mussten sie Erklärungen abgeben, schließlich wurde am 17. Mai 1983 ihr Fall abgeschlossen und sie wurden freigesprochen. Alle Beteiligten wurden in das Securitate-Hauptquartier in Cluj und Oradea berufen und verwarnt. Es wurden keine strafrechtlichen Maßnahmen ergriffen, weil es nicht den Interessen des Regimes diente, dass der Samisdat zu einem bekannten Fall wird und die Beteiligten zu Märtyrern erklärt werden.“
Die Geschichte der mutigen Autoren des Ellenpontok-Samisdats endete, wie in so vielen anderen Fällen, mit der Emigration. Sie wanderten nach Ungarn aus, Ara-Kovács 1983, das Ehepaar Tóth 1984. Szőcs übersiedelte 1986 nach Westdeutschland. Nach der Wende von 1989 kam dieser zurück nach Cluj.