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Bildungswesen: Alice im Lehrbuchland

Auch leseferne Menschen haben von Alice im Wunderland gehört, der Geschichte von Lewis Carrol. Darin geht es um ein Mädchen, das auf eine wundersame Erkundungsreise durch eine Parallelwelt geht. Doch was hat das mit Lehrbüchern zu tun?

Bildungswesen: Alice im Lehrbuchland
Bildungswesen: Alice im Lehrbuchland

, 30.09.2015, 18:25

Eine Gruppe von Forschern an der Bukarester Fakultät für Soziologie hat vor gut einem Jahr die eigene Erkundungsreise gestartet. Sie wollten mehr über aktuell verwendete Lehrbücher erfahren. Genauer gesagt ging es bei der Forschungsarbeit zwischen Oktober 2014 und Mai 2015 um die Schulbücher für die Klassen 1-4, in den Fächern Kommunikation in rumänischer Sprache und Ethik. Was sie dabei entdeckten waren allerdings keine Wunder“, wie im Roman von Lewis Carrol, sondern Dinge, die für das 21. Jahrhundert unverständlich scheinen: viele Stereotype, Geschlecht und Alter betreffend. Cosima Rughiniş ist Dozentin an der Hochschule, sie berichtet über die erschreckenden Schlussfolgerungen ihrer Studie.



Die Lehrbücher enthalten sehr viele Stereotype in diese beiden Richtungen. Die erwachsenen Mütter sind vor allem als Lehrerinnen beschäftigt. In den Fiebeln sind zwei Drittel der Frauen als Lehrerinnen abgebildet. Und gewiss sieht es in der Realgesellschaft nicht so aus. Die Stereotype sind vor allem mit der Art der Beschäftigung verbunden. Erwachsene Frauen sind ferner oftmals beim Kochen abgebildet, so nach dem Motto <Frauen an den Herd>. Und das ist ist im wahrsten Sinne des Wortes gemeint: Sie halten auf den Bildern einen Topf in der Hand, oder man erfährt, dass sie gerade Plätzchen, Torten und Kekse gebacken haben. Dafür erfährt man überhaupt keine realitätsbezogenen Informationen. Die Lehrbücher spiegeln nicht die Welt wider, in der wir heute leben und das aus mehreren Gesichtspunkten. Und das trifft auch auf die männlichen Figuren zu. Die Lehrbücher ignorieren das Familienleben der Männer oder ihre Beteiligung am Familienleben. Dafür werden sie fast ausschließlich als Piloten, Holzfäller oder Schreiner dargestellt.“



Die Zeichnungen sind also nicht zeitgemäß – das auch weil die Texte, die sie begleiten, ebenso nicht mehr mit der aktuellen rumänischen Gesellschaft im Einklang sind. Die Schulkinder lesen Ausschnitte aus literarischen Werken des 19. und 20. Jahrhunderts. Sogar Texte, die von den Autorinnen der Lehrbücher selbst verfasst wurden, präsentieren ein klischeehaftes Universum mit Frauen als Mütter und Lehrerinnen, manchmal immerhin als Kinderärztinnen. In Wirklichkeit haben die Frauen im heutigen Rumänien die unterschiedlichsten Berufe, nur die wenigsten sind Hausfrauen. Darüber hinaus sind die Väter an der Erziehung der Kinder und an den Arbeiten im Haushalt durchaus beteiligt. Warum gibt es dann trotzdem die Stereotype in den Lehrbüchern, fragten wir Cosima Rughiniş.



In der kollektiven Wahrnehmung und in dem öffentlichen Diskurs zur Weiblichkeit und Männlichkeit findet man sie wieder. In der Tat glaube ich nicht, dass es im heutigen Rumänien noch die Erwartungshaltung gibt, dass ein Mädchen oder eine Frau nicht arbeiten sollte. Aus diesem Grund gibt es eine Diskrepanz zwischen den Büchern und der Wirklichkeit. Und diese Diskrepanz entstammt nicht allein den literarischen Werken des 19. Jahrhunderts, die in den Lehrbüchern präsentiert werden, sondern auch einer Trägheit der Darstellung. Die Bücher sind ja ohne Zweifel unter bestimmten zeitlichen oder finanziellen Einschränkungen entstanden. Und da hat sich meiner Meinung nach niemand die Mühe gemacht, dass die Lehrbücher mit dem heutigen Alltag der Kinder im Einklang stehen.



Neben Stereotypen des Geschlechts enthalten die Lehrbücher für Grundschüler auch Stereotype des Alters. Diese würden von Soziologen als noch gefährlicher eingestuft, sagt Cosima Rughiniş.



In Rumänien sind Stereotype des Alters viel stärker und man redet viel weniger darüber, sie sind quasi unsichtbar und lösen nicht dieselben Emotionen aus wie die Stereotype des Geschlechts. Wir als Frauen und einige der Männer mit denen wir zusammenarbeiten bekommen einen regelrechten Erzürnungsschub wenn wir die absolut lächerlichen Stereotypen erkennen. Aber ein Greis mit einem Spazierstock und ein Großmütterchen mit Kopftuch können niedlich erscheinen. Und das vor allem unter den gegebenen Voraussetzungen, da Rumänien wie die meisten europäischen Länder eine demographische Krise erlebt. Vor diesem Hintergrund werden ältere Personen faktisch ausgegrenzt aus sozialen Tätigkeiten, zudem auch aus der kollektiven Wahrnehmung verdrängt. Und leider tragen die Lehrbücher zu dieser Krise der alten Bevölkerung bei. Die Älteren werden nicht als aktive Personen abgebildet. In allen Lehrbüchern, die wir einstudiert haben – und wir haben alle Fiebeln, alle Ethik- und fast alle Rumänisch-Lehrbücher der 4. Klassen durchforstet – also in allen gab es eine einzige Ausnahme. Dort waren Großeltern in einer aktiven Szene dargestellt, beim Wandern in den Bergen. Ansonsten sitzen die Omas und Opas im Sessel, auf einer Bank, tragen Brillen und hören schlecht…



Troz der Stereotype, mit denen Kinder bereits in den frühen Schuljahren konfrontiert werden, würde die Berufswahl dadurch nicht in irgendeiner Form beeinflusst werden, glauben Soziologen. Allerdings sind die Auswirkungen der Darstellungen heimtückischer als man denkt, erklärt Cosima Rughiniş.



Die Gefahr besteht nicht darin, dass junge Mädchen Hausfrauen zu ihren Vorbildern machen. Nicht die Vorbilder sind das Problem. Mädchen und Jungs lassen sich aus der Gesellschaft inspirieren, aus Filmen, aus den Menschen aus ihrem Umfeld…Die Gefahr geht von der Glaubwürdigkeit aus, die unterschiedliche Personen, Frauen oder Männer, ausstrahlen. Zum Beispiel die Geschäftsfrauen. Wenn wir Geschäftsfrauen treffen, haben wir manchmal das Gefühl, dass sie weniger glaubwürdig sind als Geschäftsmänner. In manchen Ethik-Lehrbüchern gibt es ganze Kapitel über führende Persönlichkeiten und über Berufe, die nur von Männern ausgeübt werden. Es sind Ausnahmen, ich kann sie nicht als repräsentativ bezeichnen, aber ihre Präsenz in den Lehrbüchern zeugt von einer bestimmten kollektiven Wahrnehmungsform. Und deshalb glaube ich, dass Frauen mit einem gewissen Glaubwürdigkeitsnachteil Berufe wie Politikerin, Managerin oder Geschäftsfrau ausüben werden.



Die Soziologen von der Universität Bukarest haben ihre Forschungsarbeit Alice im Lehrbuchland getauft. Sie wollen die Studie fortsetzen und die Lehrbücher für die Sekundärstufe unter die Lupe nehmen.

Foto: Annie Spratt / unsplash.com

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