Cyberwar: Informationskriegsführung in sechster Generation
Manipulation, Fake News, alternative Fakten“, Mind Hacking – die Techniken und Taktiken des Cyberkriegs werden immer raffinierter. In unserem Weltpolitik-Feature unterhielten wir uns mit dem Politologen Iulian Chifu zum Thema.
Corina Cristea, 09.02.2024, 18:06
Rumänien und seine Region befinden sich in einer beweglichen Situation; hinzu kommt ein wichtiges Wahljahr, das zu neuen Weichenstellungen führen wird. Der Konflikt in unmittelbarer Nachbarschaft erfordert Vorsichtsmaßnahmen für den Fall einer ungünstigen Entwicklung. Diese Einschätzungen stammen von Universitätsprofessor Iulian Chifu, einem Experten für Sicherheit und internationale Beziehungen, der bei Radio Rumänien eine Analyse des geostrategischen Kontextes vornahm, in der er auch auf den Cyberkrieg einging. Kriege werden nicht mehr nur an der klassischen Front, auf der physischen Ebene zwischen Streitkräften, geführt, sondern zunehmend auf der Informationsebene, wobei die Auseinandersetzungen auf das Auffassungsvermögen und die menschliche Psyche abzielen.
Der Cyberkrieg ist ein Bestandteil der hybriden Kriegsführung, aber auch ein eigenständiges Instrument: Informationskrieg ist die Schaffung alternativer Realitäten durch die Verdrehung der objektiven Tatsachen. Ausgehend von Daten, Fakten und Argumenten werden einige Elemente und Teilwahrheiten ausgewählt und mit einer veränderten Argumentation durch den Einsatz von Sophismen, Propaganda und einer Vielzahl von Lügen zu forcierten Interpretationen zusammengeklaubt“, schrieb Professor Iulian Chifu unlängst in einer in der Zeitung Adevărul“ veröffentlichten Analyse.
Das übergeordnete Ziel der Informationskriegsführung besteht darin, strategische, außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Entscheidungen so zu beeinflussen und zu verändern, dass die Instrumente der militärischen Verteidigung eines Staates untergraben oder behindert werden. Dem Analysten zufolge sind die eingesetzten Mittel eine Kombination aus alternativen Erzählungen, dem Säen von Zweifel und der Förderung möglichst glaubwürdiger Lügen, Übertreibungen und Manipulationen, so dass im Endeffekt alternative Wahrheiten“ in das Unterbewusstsein eindringen. Ist Rumänien für den Cyberkrieg gewappnet? Iulian Chifu:
Wir haben vor kurzem eine Bewertung des Stands der Informationskriegsführung vorgenommen. Zunächst einmal muss man ganz klar sagen, dass diese Debatte über Fake News, über Unwahrheiten, über Verzerrungen, über Desinformation in der Öffentlichkeit einen großen Unterschied gemacht hat. Der durchschnittliche Rumäne weiß sehr gut Bescheid und kann sehr angemessen auf diese Art der Beeinflussung reagieren, er ist grundsätzlich misstrauisch, weiß, dass es sich um eine Fälschung handeln könnte, schaut zweimal hin, woher die Nachrichten kommen, und stellt Fragen. Denn es ist klar, dass der öffentliche Raum und die Social Media zwei unterschiedliche Welten sind, die sich gegenseitig beeinflussen. Und das bringt mich zu zwei Feststellungen: Erstens, dass es durchaus auch ein Publikum für die offensichtlichsten und abscheulichsten Lügen gibt, also Menschen, die alles, was ihnen aufgetischt werden, für bare Münze nehmen. Und zweitens gilt, dass jeder, selbst ein Mensch, der sich gegen Manipulation gewappnet fühlt, ein Opfer von Fake News werden kann. Unwahrheiten werden dann mit dem eigenen Geltungsdrang multipliziert, um der eigenen gefühlten Wahrheit zu entsprechen. Warum passiert so etwas? Weil der Informationsfluss so unübersichtlich geworden ist, dass man keine Zeit mehr hat, jede einzelne Information zu überprüfen, alles, was man gelesen hat und wovon man zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfahren hat, einzuordnen. Und so man neigt dazu, selbst zum Multiplikator von fragwürdigen Informationen zu werden.“
Laut Professor Iulian Chifu erfolgt die Informationskriegsführung auf drei verschiedenen Handlungsebenen: Die erste Komponente betrifft die Veränderung der Wahrnehmung einer Zielperson, wobei im Medienbereich, im Internet und in den sozialen Medien, aber auch auf anderen, subtileren Ebenen, Propaganda, Manipulation und Desinformation eingesetzt werden, die nur schwer auseinanderzunehmen sind.
Das zweite Element besteht aus Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit, wenn es sich um ein Unternehmen oder eine Persönlichkeit handelt, bzw. aus offizieller Diplomatie, wenn es sich um einen Staat handelt. Hier wird Geld eingesetzt, um glaubwürdige Personen zu gewinnen, die die Thesen des Geldgebers vertreten, mit dem Ziel, die Entscheidungsträger durch in die Öffentlichkeit getragene Ideen zu beeinflussen.
Die dritte Ebene bezieht sich auf ausgefeilte psychologische Einwirkung, bei der vor allem die Wirkung zählt, die die verbreiteten Informationen auf das Zielpublikum haben. Hier geht es um die Beschwörung und Verstärkung von Ängsten, das Erzeugen kollektiver Emotionen, die Vorbereitung der Öffentlichkeit auf eine gewünschte, lange geplante und vorher abgewogene Reaktion auf zukünftige Ereignisse. Cyberkrieg und Informationskriegsführung sind keineswegs neu. Neu ist der Einsatz hochmoderner Technologien, die es den Betreibern erlauben, durch maßgeschneiderte alternative“ Angebote Manipulation auf höchst individueller Basis zu erzielen, führt Professor Iulian Chifu weiter aus:
Wir befinden uns bereits in der sechsten Generation, seit es Informationskriegsführung gibt. In den ersten drei Generationen richtete sich der Cyberkrieg gegen Gruppen als Ganzes und war nicht besonders verfeinert. In den letzten drei Generationen ist die Informationskriegsführung bereits individuell ausgerichtet — nach Typologien und Präferenzen, die vorher eruiert werden. Insbesondere bei den letzten beiden, der fünften und der sechsten Generation, zielt der Cyberkrieg bereits auf Kognition, auf Wissen, auf Werte, auf grundlegende Dinge ab. In der fünften Generation gab es schon zum Beispiel die Fähigkeit, einen Menschen, ein Individuum dazu zu bringen, seinen eigenen Sinnen, seinem Sehvermögen, seinem Gehör zu misstrauen, so dass man der unmittelbaren Wahrnehmung durch die eigenen Sinne keinen Glauben mehr schenkt. In der sechsten Generation kommt das berühmte Mind Hacking zum Zuge, also das Eindringen in den Verstand und in die Denkmechanismen eines Menschen oder einer Menschengruppe, um die Denkweise eines Individuums oder einer Gruppe zu verändern und zu lenken. Hier sind die Ziele individuell, und die Konstrukte sind individuell. Natürlich ist die sechste Generation nur theoretisch formuliert. Putin hat seine Geheimdienste Anfang 2022 angewiesen, eine Waffe in dieser Richtung zu entwickeln, und der Denker Yuval Harari behauptet, dass sie bereits existiert. Wir haben bisher keine Daten, die den Schluss zuließen, dass es ein solches operatives Instrument schon gibt. Doch ich betone, dass die Instrumente der Informationskriegsführung immer raffinierter werden und dass unsere Fähigkeit, Manipulation zu erkennen und damit umzugehen, wenn wir zur Zielscheibe werden, immer mehr abnimmt.“