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Russischer Exil-Schriftsteller Michail Schischkin zu Besuch in Rumänien

Vom 25. bis 28. September war Brașov (dt. Kronstadt) besonders lebendig, denn hier fand die erste Ausgabe eines neuen und ehrgeizigen Literaturfestivals statt, das bezeichnenderweise NOD ( dt. „Knotenpunkt“) genannt wurde. Als ein „Festival der Rechte im Bereich der Literatur“ bezeichnet, brachte NOD Fachleute der Schreibkunst und der Buchbranche – Verleger, Schriftsteller, Literaturagenten, Übersetzer – zusammen und lud sie ein, an Diskussionen in kleinem oder größerem Rahmen teilzunehmen, oft auch vor Publikum. Die Übersetzerin Justina Bandol und unsere Kollegin vom russischen Sprachdienst Tatiana Codreanu waren dabei und unterhielten sich mit einem prominentem Gast.

Michail Schischkin (Foto: persönliches Archiv des Schriftstellers)
Michail Schischkin (Foto: persönliches Archiv des Schriftstellers)

, und , 25.10.2025, 17:30

 

RadioRomaniaInternational · Russischer Exil-Schriftsteller Michail Schischkin zu Besuch in Rumänien

 

Das Festival umfasste außerdem viele andere Veranstaltungen – von Treffen der Gäste mit Schülern bis hin zu Filmvorführungen, Poesie-Lesungen, verschiedenen Workshops und Signierstunden. Zu den Gästen der Veranstalter gehörten bekannte rumänische Autoren wie Bogdan Alexandru Stănescu, Simona Goșu, Cristian Fulaș, Dan Coman, Simona Antonescu oder der Schriftsteller und Regisseur Cristian Mungiu, sowie fünf bedeutende ausländische, in Rumänien übersetzte Autoren: der Ukrainer Andrei Kurkov, der Russe Michail Schischkin, die Schwedin Linda Boström Knausgård, der Franzose Mathias Énard und der Amerikaner Edward Ashton.

 

Michail Schischkin ist den rumänischen Lesern vor allem durch seine Werke Venushaar und Briefsteller – übersetzt von Antoaneta Olteanu – sowie durch das neuere Buch Mein Russland, übersetzt von Adriana Dănilă, bekannt. Alle sind im Verlag Curtea Veche erschienen. In Russland sind diese Bücher nicht mehr im Handel erhältlich, da Michail Schischkin in seiner Heimat seit März 2025 zum „ausländischen Agenten“ erklärt wurde. Seit 30 Jahren lebt er im Exil; er ist ein scharfer Kritiker von Wladimir Putin und dessen Regime und ist seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 nicht mehr nach Russland gereist – obwohl er der einzige noch lebende Schriftsteller ist, der alle großen russischen Literaturpreise (Bolschaja Kniga, Russkij Buker und Natsionalnyj Bestseller) erhalten hat. Seine Werke sind in 30 Sprachen übersetzt worden, und er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der zeitgenössischen russischen Literatur.

 

Wir fragten Michail Schischkin, ob es eine Verbindung zwischen seiner Arbeit als Romanautor und seinem bürgerrechtlichen Engagement gibt.

 

Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Literatur und Publizistik. Literatur ist eine viel zu große Waffe, um sie gegen die Diktatoren unserer Zeit einzusetzen. Denn Literatur kämpft nicht gegen Putin, sondern gegen das Böse in der Welt. Verstehen Sie den Unterschied? Deshalb werden Sie in meinen Romanen niemals aktuelle Politik finden. Aber man kann auch nicht schweigend zusehen, was geschieht. Wenn man schweigt, unterstützt man das Geschehen. Für mich ist es wichtig, Nein zu sagen zu allem, was in Russland passiert, denn wir leben in Kriegszeiten. Ich bin nicht naiv und glaube nicht, dass Bücher, Literatur, Kunst oder Musik den Krieg verhindern oder beenden können. Literatur kann die Kanonen nicht stoppen. Aber sie gibt dem Menschen Hoffnung, dass die Welt nicht in die Hölle, in den Abgrund stürzt. Denn all die Putins, Stalins, Hitlers dieser Welt kommen und gehen – aber Bach, Beethoven bleiben. Sie werden immer aktuell sein.

 

Ich würde die Aufgabe der Literatur so formulieren: Meine Romane können die Menschen nicht auf die Straße treiben, auf die Barrikaden, um Nein zum Krieg zu sagen und dafür womöglich ins Gefängnis zu kommen. Aber wenn jemand, der ein Buch liest, danach über seine eigene Würde als Mensch nachdenkt und der Roman ihn auf irgendeine Weise beeinflusst – dann hat er etwas bewirkt. Denn im Leben ist das Wichtigste nicht, eine Wohnung zu besitzen oder ein tolles Auto zu fahren, sondern über die eigene Menschenwürde nachzudenken. Was heißt das? Was bin ich bereit, für meine Würde zu opfern? Wo liegt die Grenze, bis zu der ich bereit bin, Demütigungen zu ertragen – und wann gehe ich auf die Straße, um meine Würde zu verteidigen? Nur Kunst und Literatur können einen Menschen dazu bringen, darüber nachzudenken. Und deshalb sind meine Romane Waffen.“

 

Michail Schischkin sprach auch darüber, wie er die Rolle der Literatur in der heutigen Welt sieht.

 

Literatur ist kein Allheilmittel, das die Welt verändern kann. Die Welt kann nur durch eines verändert werden – durch Kultur im Allgemeinen, durch Bildung, durch die Verbreitung von Wissen. In den letzten 200 bis 300 Jahren hat die Menschheit die wichtigste Revolution erlebt: den Übergang vom Stammesbewusstsein zum individuellen Bewusstsein. Heute jedoch klafft zwischen der russischen Bevölkerung und der entwickelten Menschheit ein Abgrund – ein Abgrund in der Zeit. In Russland lebt die Mehrheit der Menschen noch in der Vergangenheit, mit einem Stammesbewusstsein, sie identifizieren sich mit ihrem Stamm. Ich aber lebe bereits mit einem individuellen Bewusstsein. Nur ich allein entscheide, was gut und was schlecht ist – nicht mein Stamm, nicht der Häuptling meines Stammes. Und der Übergang vom Stammesbewusstsein zum individuellen Bewusstsein ist nur durch Wissen, Bildung, Kultur und Literatur möglich. Deshalb wird jedes Regime in Russland, jede Diktatur, die Kultur zu ihrem Hauptfeind machen.

 

Wie viele Schulen gibt es in Russland? Hunderttausende – niemand hat sie gezählt. In jeder Schule gibt es ein Klassenzimmer für Russisch, an dessen Wand ein Porträt von Tolstoi hängt. Kein Lehrer wird jedoch neben Tolstois Porträt sein Zitat aufhängen: ‚Patriotismus ist eine Form der Sklaverei.‘ Denn das Einzige, wozu das Regime den Kulturbetrieb zu tun anhält, ist, Patrioten zu erziehen – also Sklaven. Sklaven, die glauben, sie verteidigten das Vaterland gegen Feinde, die in Wirklichkeit aber die Diktatur verteidigen. Daher ist die Hauptaufgabe des heutigen Regimes in Russland, Bildung und Kultur zu unterdrücken. Aus Tolstois gesamtem Werk übernimmt das Regime nur das, was zur Erziehung von Patrioten dient.

 

Um dieses Bewusstsein in Russland zu verändern, muss zuerst das Regime verändert werden. Und es gibt kein friedliches Mittel mehr, das Regime zu stürzen. Als der Krieg gegen die Ukraine begann, hatte ich die Hoffnung, dass sich endlich die ganze Welt vereinen und der Ukraine genug Waffen geben würde, um auf dem Schlachtfeld zu siegen. Das ist die einzige Möglichkeit, Putins Regime zu besiegen. Und in den ersten Monaten des Krieges schien es tatsächlich so, als würde der gesamte Westen die Ukraine vereint unterstützen. Und was ist schließlich passiert? Verrat.Alle demokratischen Länder haben die Ukraine verraten. Sie haben mich verraten, meinen persönlichen Kampf, meine Hoffnung. Das bedeutet, dass in Russland alles so bleiben wird, wie es ist. Kinder werden weiterhin zu ‚Patrioten‘ erzogen. Schauen Sie, was jetzt in den Schulen passiert – Kinder werden wieder in Militäruniformen gesteckt und später als Kanonenfutter verheizt. Ich weiß nicht, wie wir das verhindern könnten.“

 

Im Jahr 2024 wurde erstmals der Literaturpreis „Dar“ (was auf Russisch „Geschenk, Gabe“ bedeutet – nach dem Titel des letzten auf Russisch geschriebenen Romans von Vladimir Nabokov) verliehen. Dieser Preis wurde auf Initiative von Michail Schischkin ins Leben gerufen, um die Übersetzung russischsprachiger Autoren außerhalb des offiziellen Literaturbetriebs in der Russischen Föderation zu fördern. Doch gerade während des NOD-Festivals wurde – sehr zu Schischkins Enttäuschung – auch der „Dar“-Preis in Russland als Produkt „ausländischer Agenten“ eingestuft.

 

Schischkins jüngstes Buch untersucht die Beziehung, die der Romancier heute zu seinen kulturellen „Vätern“ – den großen Klassikern der russischen Literatur – hat, vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine. Der Literaturbetrieb in Rumänien wartet gespannt auf die Übersetzung ins Rumänische.

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