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Die Bleitafeln von Câmpina: Eine „patriotische Fälschung“

Die angeblich von einer dakischen Schrift gezierten Bleitafeln sind von Wissenschaftlern längst als Fälschung aus dem 19. Jh. entlarvt worden. Doch der Mythos ist hartnäckig, viele Laien glauben nach wie vor an der antiken Abstammung der Artefakte.

Die Bleitafeln von Câmpina: Eine „patriotische Fälschung“
Die Bleitafeln von Câmpina: Eine „patriotische Fälschung“

, 27.01.2014, 17:32

Die Existenz von 60 Bleitafeln mit einer Länge von 15 cm und einer Breite von 10 cm im Untergeschoss des Archäologie-Instituts Vasile Pârvan“ in Bukarest hat eine wahre Hysterie in den Reihen der Archäologie-und Geheimnis-Liebhaber verursacht. Auf den Bleitafeln sind Buchstaben, Symbole und Bilder zu sehen. Manche glauben, diese stammen von den Dakern, die in der Antike einen Teil des heutigen rumänischen Staates bewohnt haben. Um diese Tafeln entstanden phantasmagorische Geschichten. Spezialisten erklärten mehrmals, die Tafeln seien Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, jedoch ohne Erfolg. Das Publikum war eher gegenüber den Phantasien offen. Manche erklärten, auf den Tafeln, die in Câmpina, etwa 100 Km nördlich von Bukarest, gefunden wurden, sei eine dakische Schrift zu lesen.




Radu Băjenaru ist Archäologe beim Archäologie-Institut Vasile Pârvan“ in Bukarest. Er stellt uns die Argumente der Spezialisten vor.



Es gibt zwei Meinungen betreffend diese Tafeln. Die erste ist die Meinung der Archäologie-Spezialisten, der Fachleute. Diese bestreiten ihre Authentizität und die These, dass diese vor 2000 Jahren zu Daker-Zeiten entstanden sind. Die zweite Meinung gehört den Enthusiasten, den Liebhabern von Alter Geschichte. Diese betrachten die Tafeln als authentisch und versuchen anhand dieser die dakische Gesellschaft vor 2000 Jahren nachzubilden. Es gibt natürlich Argumente und Gegenargumente auf beiden Seiten. Meiner Meinung nach sind die Argumente, dass diese im 19. Jahrhundert geschaffen wurden, viel stärker. Die Metall-Analysen, die nicht vor langem durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass sie aus einem Blei hergestellt wurden, das typisch für die Druckereien des 19. Jahrhunderts war. Zweitens stellen alle Inschriften und die ganze Ikonographie auf diesen Tafeln Sachen vor, die im 19. Jahrhundert bekannt waren. Wir erfahren nichts Neues über die Geschichte der Daker. Das alles war schon vor 150 Jahren bekannt. Wir erfahren nichts über das, was nachher entdeckt wurde. Drittens waren diese Tafeln den wichtigen rumänischen Historikern der Antike bekannt. Auch Pârvan, dessen wissenschaftliche Kompetenz niemand bestreiten kann. Pârvan hat diese in seinem Werk keine Bedeutung geschenkt, weil er deren Geschichte kannte.“




Welche waren aber die kulturellen Umstände unter denen die Tafeln entstanden? Radu Băjenaru:



Diejenigen, die Echtheit bestreiten, nennen sie inkorrekt Fälschungen. Eine Fälschung stellt aber eine Kopie von etwas Authentischem dar. Diese Tafeln sind aber reine Schöpfungen des 19. Jahrhunderts und stammen sehr wahrscheinlich von Bogdan Petriceicu Haşdeu. Dieser war ein Enzyklopädist und ein gro‎ßer Gelehrter. Er hatte die finanzielle und intellektuelle Möglichkeit, so etwas zu schaffen. Mir scheint es offensichtlich, dass diese seine Vision über die Geschichte der Daker darstellen. Deswegen kann man diese Tafeln nicht berücksichtigen, wenn wir über Geschichte reden. Auch wenn wir diese berücksichtigen würden, hätten wir nichts Zusätzliches zu lernen, sie helfen uns nicht. Das einzige, was uns helfen könnte, ist diese sogenannte dakische Schrift, ein Gemisch von griechischen, kyrillischen, lateinischen und orientalischen Buchstaben. Für einen Sprachwissenschaftler wie Haşdeu war es einfach, diese zu mischen. Man hat versucht, diese zu entziffern. Wie ich verstanden habe, hat man das auch geschafft. Das finde ich absurd. Diese Buchstaben können keine eigentliche Sprache bilden. Das wäre die einzige Neuigkeit betreffend die Tafeln: die Information zu entziffern. Würden wir — unter Anführungszeichen — diese Schrift entziffern, auch wenn wir verstehen würden, was Haşdeu übermitteln wollte, würde uns das nicht allzu viel weiter helfen, wenn wir den Stand der Kenntnisse Mitte des 19. Jahrhunderts in Betracht ziehen.“




Warum aber hat Haşdeu diese Tafeln geschaffen und wie sollten wir diese heute betrachten? Radu Băjenaru:



Haşdeu wollte keineswegs in die Irre führen. Er war ein Mensch seiner Zeit, er wollte nichts fälschen, nichts Böses tun, wahrscheinlich hatte er gute Absichten. Man muss ihn als einen aufgeklärten, allwissenden Geist betrachten, der so viel wie möglich lernen wollte und so viel wie möglich verbreiten wollte. Es war eine seiner Ausdrucksweisen. Es war die Mode seiner Zeit, so etwas zu tun. Ich sehe nichts Böses darin. Schlecht ist es, wenn wir versuchen, diese Schöpfungen 2000 Jahre früher zu datieren. Würden wir diese Tafeln als Schöpfung eines Gelehrten betrachten, würde es wunderbar sein. Gravierend wird es, wenn einige Menschen versuchen, anhand dieser einer Geschichte zu begründen, die wir gar nicht kennen. Die von den Tafeln erzählte Geschichte entspricht sowieso der Geschichte der antiken Quellen, weil die Tafeln auf antike Quellen beruhen. Da gibt es keine Unstimmigkeiten. Ich verstehe nicht, warum man auf die Authentizität dieser Tafeln beharrt. In der ganzen Antike gab es keine solchen Inschriften. Ich verstehe nicht warum gerade wir in Rumänien diese haben müssten.“




Mitte des 19. Jahrhunderts, während der Periode der nationalen Fälschungen“ herrschte der Geist der Romantik. Haşdeu gilt au‎ßerdem auch als Schöpfer“ zweier anderer Dokumente dieser Art. Er soll das sogenannte Diplom von Bârlad von 1134“ und die Urkunde von Jurij Korjatowitsch von 1347“ fingiert haben. Heute wird Geschichte anders als vor 150 Jahren geschrieben.



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