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Entwicklungshilfe für Schwellenländer: Sozialistisches Rumänien verfolgte auch politische Ziele

Das sozialistische Rumänien verfolgte – wie viele Staaten des Ostblocks – eine Politik der differenzierten Hilfe für die Schwellenländer.

Entwicklungshilfe für Schwellenländer: Sozialistisches Rumänien verfolgte auch politische Ziele
Entwicklungshilfe für Schwellenländer: Sozialistisches Rumänien verfolgte auch politische Ziele

, 26.06.2023, 17:30

Einer der gro‎ßen Veränderungsprozesse, die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzten, war die Entkolonialisierung der Welt. Ehemalige Kolonialmächte, vorrangig sogenannte westliche Staaten, mussten der Reihe nach die Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien anerkennen, und die Beziehungen zwischen den westlichen Metropolen und den jungen unabhängigen Staaten wurden von neuen Positionen aus fortgesetzt. Aber auch von den sozialistischen Ländern des Ostblocks ging die Bereitschaft aus, die Länder des so genannten Globalen Südens“ in Lateinamerika, Afrika, Asien und Ozeanien im Namen des neuen Humanismus zu unterstützen. Zum Beziehungskomplex zwischen den alten und neuen Staaten, die aus ehemaligen Kolonien hervorgegangen waren, gehörte die humanitäre Hilfe als umfangreiche Möglichkeit der Unterstützung. Doch gleichzeitig wurden Hilfe und Unterstützung aus dem Westen nicht nur aus Nächstenliebe gewährleistet, sondern geschahen stillschweigend auch im Interesse derer, die sie anboten.



Seit den 1970er Jahren machte sich auch das sozialistische Rumänien für die sogenannten Dritte Welt“ stark, wie der Globale Süden damals bezeichnet wurde. Die Länder des Ostblocks setzen bekannterweise auf den globalen Klassenkampf und die sozialistische Weltrevolution. Der rumänische Diktator Nicolae Ceaușescu war dabei keine Ausnahme — in seiner Au‎ßenpolitik sprach er von einer Öffnung gegenüber dem afrikanischen Kontinent, und die Unterstützung für sozialistische oder mit dem Sozialismus sympathisierende Länder in Asien sowie für kommunistische Bewegungen in Lateinamerika waren Teil seiner Profilierungssucht auf der internationalen Bühne.



Die Historikerin Mia Jinga vom Institut für die Aufarbeitung der Verbrechen des Kommunismus und die Geschichte des rumänischen Exils (IICCMER) ist als Forscherin an einem weitgehenden Projekt beteiligt, das die Weltpolitik Rumäniens von den 1960er bis zu den 1980er Jahren erforscht. Sie kennt die Umstände, unter denen das sozialistische Rumänien humanitäre Hilfe leistete:



In unserer Nachforschung haben wir eine Methode angewandt, um alle möglichen Ebenen der Hilfeleistung zu untersuchen, angefangen bei der klassischen humanitären Soforthilfe. Am Anfang ging es um Soforthilfe bei Naturkatastrophen wie Dürre, Überschwemmungen, Erdbeben und andere Desaster. Aber nicht nur Rumänien, sondern auch die anderen Ostblockländer und die westlichen Länder haben unterschiedliche Formen der Hilfe gewährleistet: Hilfe für Menschen in Konfliktgebieten oder Flüchtlingslagern, materielle und militärische Unterstützung für verschiedene Befreiungsbewegungen und kommunistische Parteien. Das meiste Geld ist tatsächlich dorthin geflossen. Au‎ßerdem wurden Stipendien für die voruniversitäre und universitäre Ausbildung sowie Praktika, Fachwissen und Ausrüstung bereitgestellt, die als Entwicklungshilfe verstanden wurden.“




1979 half Rumänien Schwellenländern auf drei Kontinenten: Peru, Martinique, der Dominikanischen Republik, Nicaragua und Mexiko in Nord-, Mittel- und Südamerika; Benin, Äthiopien, Sudan, Burundi, Mosambik, Senegal, der Zentralafrikanischen Republik, Mauretanien, Kap Verde, Namibia, Guinea-Bissau in Afrika; dem Jemen und dem Libanon in Asien. Die Historikerin Mia Jinga weist darauf hin, dass humanitäre Hilfe und die Verfolgung eigener politischer Interessen oft zusammenfielen. So unterstützte Rumänien beispielsweise aktiv die marxistisch-leninistische Gruppe Zimbabwe African Peoples Union“ (ZAPU), die zwischen 1964 und 1979 im Bürgerkrieg in Rhodesien involviert war.



Wenn man genauer hinsieht, stellt man fest, dass es nebst der humanitären und der Entwicklungshilfe weitere Ma‎ßnahmen gab, die politische Ziele verfolgten. Bei Naturkatastrophen zum Beispiel bestand die Hilfe in erster Linie aus Grundnahrungsmitteln, Kleidung, Medikamenten und medizinischer Hilfe. Je nach Bedarf wurde die Unterstützung allerdings auch auf andere Bereiche ausgedehnt. Aus der Vielzahl der humanitären Aktionen habe ich mir die Unterstützung ZAPU-Aktivisten im damaligen Rhodesien angeschaut, die mir am interessantesten erschienen. Rund 9,5 Millionen Lei — das waren damals umgerechnet mehr als 2,1 Mio. USD — gingen 1979 an diese Organisation, während der durchschnittliche Betrag für eine gewöhnliche humanitäre Hilfeleistung bei nur knapp 56.000 Dollar lag. Die Diskrepanz ist enorm.“




Die Historikerin Mia Jinga erläutert auch, welche politischen Überlegungen dahinter steckten, als Rumänien den sogenannten Schwellenländern Hilfe leistete.



Ich habe mir näher angeschaut, wie humanitäre Hilfsprojekte durchgeführt wurden, wie sie ihren Anfang nahmen und wie sie endeten. Handelte es sich um eine Initiative des rumänischen Staates, oder war es im Gegenteil der Empfänger, der um Hilfeleistung bat? In allen Fällen, zumindest in denen, die ich bisher erforscht habe, wurde die Hilfe auf einen formellen Antrag hin gewährt, der an eine hohe politische Stelle gerichtet war. Der Antrag kam von einem bekannten Anführer einer Partei oder Bewegung im Bittstellerstaat, nicht selten nach einem Treffen mit Ceaușescu oder nach einem Besuch oder Treffen auf hoher Ebene im Ausland. Nach Eingang eines solchen Ersuchens verfasste die Abteilung für Au‎ßenbeziehungen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Rumäniens einen Vermerk, in dem sie begründete, ob sie den Antrag genehmigte oder ablehnte. Die Begründung enthielt auch eine kurze Geschichte der humanitären Hilfeleistungen für den Empfänger, die Beträge für jedes Jahr, ob man früher schon geholfen hatte, wie sachgemä‎ß die Hilfe verwendet worden war und ob sich diplomatische Verwerfungen aufgrund von weiteren Hilfeleistungen ergeben könnten. Es gab viele Situationen, in denen Rumänien gerne geholfen hätte, doch der weltpolitische Kontext war damals so angespannt, dass die Antwort »Nein« lautete. In allen Fällen hatte allerdings der Diktator Nicolae Ceaușescu das letzte Wort. Es gab auch Länder, die unter allen Umständen grünes Licht bekamen, wie es mit Vietnam der Fall war. Egal, wie viel das Land verlangte, Vietnam bekam es. Irgendwann dämmerte es Ceaușescu, dass er kein politisches Kapital daraus schlagen konnte. Er sagte damals sinngemä‎ß, dass Rumänien Vietnam schon seit 10 Jahren helfe und dass die Vietnamesen sich endlich einmal an die Arbeit machen sollten.“




Das sozialistische Rumänien verfolgte — wie viele Staaten des Ostblocks — eine Politik der differenzierten Hilfe für die Schwellenländer. Die Archive offenbaren sowohl Erfolge als auch Misserfolge der verschiedenen Projekte, wobei Afrika in Ceaușescus Auffassung von einer rumänischen Weltpolitik der bevorzugte Kontinent war, den er bei zahlreichen Gelegenheiten besuchte.

Cămilă (foto: pixabay.com)

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