Debatte: 1989 – der Wendepunkt hin zur europäischen Gesinnung
Das Französische Kulturinstitut in Bukarest hat unlängst eine Debatte veranstaltet, bei der untersucht wurde, wie sich die Befindlichkeiten der Menschen in Bezug auf Europa seit dem Wendejahr 1989 verändert haben.
Monica Chiorpec, 03.07.2019, 17:30
Das Jahr 1989 hatte einen starken Einfluss auf die Geschichte Rumäniens, aber auch auf die Geschichte Europas in seiner Gesamtheit. Grenzen wurden geöffnet, die Berliner Mauer fiel, was auch das Ende des Kalten Krieges bedeutete, während ausgedehnte Protestkundgebungen zum Fall der kommunistischen Regime in Mittel- und Osteuropa führten. Ganz im Gegensatz zu den anderen Staaten des ehemaligen Sowjetblocks wurde in Rumänien die Abschaffung des Kommunismus teuer bezahlt und forderte mehr als tausend Menschenleben. Nach Jahrzehnten ideologischer Unterdrückung nahm die rumänische Gesellschaft schließlich ihren demokratischen Weg wieder auf. Unmittelbar nach 1989 fiel es der rumänischen Gesellschaft jedoch wirklich schwer, die demokratische Entwicklung der westlichen Länder nachzuholen, da man sich mit der eigenen Vergangenheit unter einem totalitären Regime auseinandersetzen musste.
Das Französische Institut in Bukarest war Gastgeber einer Debatte zum Thema 1989. Der Wendepunkt.“ Ziel der Debatte war es schließlich, die Situation der heutigen europäischen Gesellschaft zu analysieren. Es scheint jedoch, dass es sehr schwierig ist, auf die Erinnerung zurückzugreifen, vor allem bei rumänischen Jugendlichen. Elena Calistru, Leiterin der NGO Funky Citizens“:
Was die Jugendlichen betrifft, mit denen wir im Bereich der bürgerlichen Erziehung zusammengearbeitet haben, kann ich Ihnen sagen, dass es nicht ihre Schuld ist, dass ihre Lehrpläne keine jüngere Geschichte enthalten haben, deren Abdeckung groß genug hätte sein können, um die Tatsache auszugleichen, dass sie zu dieser Zeit noch nicht geboren waren. Vielleicht leben wir in der bestmöglichen Zeit, aber für viele der Jugendlichen, mit denen wir zusammenarbeiten, reicht das nicht aus, da sie dafür keinen Vergleich haben. Und ich denke, wir werden sie verlieren, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Wir werden sie höchstwahrscheinlich vor ihrem Laptop sitzen finden, wo sie einen Videoclip voller Hass und Diskriminierung gedreht haben.“
Die Massenmedien haben ihre natürliche Reichweite in der virtuellen Welt, dank des Informationsflusses, dem die Laien über das Internet ausgesetzt sind. Und dabei sind die Nachrichten immer schwieriger zu kontrollieren. Die Überflutung durch Fake News“ scheinen die Gesellschaft unvorbereitet erwischt zu haben, sowohl in westlichen Ländern als auch in Rumänien. Abgesehen von dem Phänomen der Verbreitung gefälschter Nachrichten, das in letzter Zeit an Bedeutung zu gewinnen scheint, sehen sich die Massenmedien einem beispiellosen Anstieg der übermäßigen Folgen gegenüber, die Informationen über das Bewusstsein der demokratischen Gesellschaft haben können. Liviu Tofan ist ein Journalist, der während des kommunistischen Regimes für die rumänische Abteilung von Radio Freies Europa arbeitete:
Wann immer wir über Populismus sprechen, müssen wir auch vorsichtiger mit Nuancen umgehen, denn oft haben die Medien, insbesondere die Medien mit einem sehr starken kommerziellen Touch, wie es in Rumänien der Fall ist, die Tendenz, die Dinge kritisch, wenn nicht sogar negativ zu präsentieren. Es ist genau die Methode, die Populisten anwenden, wenn sie negative Emotionen erzeugen wollen, indem sie Gefahren projizieren, die es tatsächlich nicht gibt. Es ist genau so, wie es im Falle des Terrorismus geschieht, wenn die Presse der unbeabsichtigte Komplize von Terroristen ist, indem sie den Terror fördert.“
Dennoch scheint die heutige demokratische Gesellschaft eine immer größere Fähigkeit zu haben, diese Dinge zu erkennen. Die Rumänen ließen sich in ihrer Eigenschaft als Bürger der Europäischen Union immer weniger vom politischen Diskurs beeinflussen und analysierten ihre Haltung gegenüber den anderen Europäern. Elena Calistru von der NGO Funky Citizens“:
Die Menschen interessieren sich für Themen mit einem Umfang, der größer ist als ihr unmittelbares Leben, als ihre Brieftasche und das Geld, das sie haben, um über die Runden zu kommen. Das ist die Wahrheit, die Gesellschaft verändert sich und blickt ein wenig weiter. Die Sache ist, dass die Gesellschaft der politischen Klasse ein paar Schritte voraus ist, während dieser Riss sich vertieft und wächst. Die Gesellschaft verändert sich, und dieser Wandel ist zum Besseren, wage ich zu behaupten. Nie zuvor hatten wir eine größere Anzahl von gebildeten Menschen auf dieser Welt.“
Nach der Wirtschaftskrise ist die Euroskepsis zu einer großen Bedrohung für die Europäische Union geworden. Diese Skepsis geht manchmal mit dem starken Wunsch einher, die Souveränität und Identität der europäischen Nationen gegen die Idee eines europäischen Bundesstaates zu bewahren. Es scheint jedoch, dass die rumänische Gesellschaft diesem Trend nicht folgt. Der Politikwissenschaftler Robert Adam erläutert:
Warum setzt sich der euroskeptische Diskurs in Rumänien im Wesentlichen nicht durch? Weil es einfach im Widerspruch zum rumänischen nationalen Ethos steht. Mit anderen Worten: Die gesamte Gründungsgeschichte der rumänischen Nation ab 1848 ist die einer Modernisierung, die stets mit dem Westen verbunden war. Wir haben nicht, wie in Ungarn, Polen oder anderswo, einen Ersatz dafür. Wir hatten zwar auch unsere Momente, in denen wir auch einen Hang zum identitären Diskurs hatten, aber das endete meistens ziemlich schlecht. Wenn wir also einen solchen Diskurs populär machen wollten, müssten wir dem entgegenwirken, was die Menschen in der Schule oder in ihren Familien gelernt haben, was oft auch gefälscht oder übertrieben ist. Aber die Identifikation mit Europa ist der Hauptgrund, warum die Euroskepsis hierzulande nicht so verbreitet ist.“
Abgesehen von den Ergebnissen der historischen oder soziologischen Forschung scheint sich die rumänische Gesellschaft zunehmend der europäischen und demokratischen Werte bewusst zu sein, die sie definieren. Nach mehr als ein Jahrzehnt seit dem EU-Beitritt Rumäniens hat das Vertrauen zu den europäischen Institutionen nach einer im Jahr 2017 durchgeführten Eurobarometer-Umfrage sogar zugenommen.