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Dezember 1989: Als Rumänien wieder zu sich fand

Die Revolution von 1989 hat das Schicksal Rumäniens endgültig und unwiderruflich verändert. Doch Wahrnehmungen, Mentalitäten und Erinnerungsvermögen befinden sich immer noch im Wandel.

Dezember 1989: Als Rumänien wieder zu sich fand
Dezember 1989: Als Rumänien wieder zu sich fand

, 01.01.2020, 17:30

Der bereits in den anderen Ländern des ehemaligen Osblocks einsetzende Niedergang des Kommunismus hatte einen hohen Preis in Rumänien — tausende von Opfern, die meisten davon junge Menschen, die mit ihrem Blut vor 30 Jahren Geschichte geschrieben haben. Eine derartige Revolution verändert die Selbstauffassung der gesamten Gesellschaft in Bezug auf ihren eigenen Werdegang.



Das Gedächtnis hat jedoch subjektive Züge, und jeder Rumäne erinnert sich anders an die Zeit vor Dezember 1989. Im Suţu-Palast in Bukarest fand ein Treffen statt, das sich mit dem Einfluss der persönlichen Archive auf das Image der Osteuropäer im Zusammenhang mit den Veränderungen von 1989, aber auch mit dem alltäglichen Leben dieser Zeit befasste. Raluca Alexandrescu, Universitätsdozentin an der Fakultät für Politikwissenschaften der Universität Bukarest, spricht über das subjektive Erinnerungsvermögen:



Es war kalt in den Wohnungen, die Leute standen für alles Mögliche Schlange in den Läden… Wenn ich Leute treffe, die mir erzählen, dass es ihnen während des Ceauşescu-Regimes gut ging, bin ich immer wieder erstaunt, obwohl es viele Arten gibt, sein Leben zu führen. Andererseits ist es aber auch verständlich, dass die Erfahrungen der Einzelnen vor 1989 unterschiedlich sind und miteinander konfrontiert werden müssen. Aus diesem Grund denke ich, dass die heutige Blockade in der Wahrnehmung mit diesem anhaltenden Konflikt zwischen den unterschiedlichen Erlebnissen der Einzelnen zu erklären ist. Einige sind nostalgisch, andere haben für die Zeit vor Dezember 1989 sogar eine Art Kult entwickelt und wiederum ist es für andere Menschen unvorstellbar, dem Kommunismus und dem Ceauşescu-Regime mit Nostalgie zu begegnen.“




In der rumänischen Gesellschaft war die weit verbreitete Angst vielleicht das prägendste Gefühl während des Ceauşescu-Regimes. Der von der Securitate betriebene Unterdrückungsapparat war zu einem unsichtbaren, jedoch allgegenwärtigen Feind geworden, und der Mut, öffentlich über die eigenen politischen Überzeugungen zu sprechen, wurde von den meisten Menschen als riskantes Wagnis angesehen. Raluca Alexandrescu bringt weitere Einzelheiten:



In diesem schizoiden Umfeld, in dem viele von uns aufgewachsen sind, wusste jeder sehr genau, dass es überhaupt nicht ratsam war, das zu Hause in der Familie Besprochene weiterzuerzählen. Dies ist für meine Generation, für die etwas jüngere und insbesondere für die etwas ältere Generation immer noch ein Problem. Wir leben, wir bilden uns und agieren in der Gesellschaft, vielleicht ohne es zu merken, in einem Zustand der Binarität uns selbst gegenüber, aber auch im Verhältnis zur Öffentlichkeit. Unser Bezug zur Öffentlichkeit und zur Stellungnahme und Involvierung im öffentlichen Leben ist ebenfalls davon geprägt, ohne dass wir es merken würden.“




Der Moment der Revolution änderte das Bewusstsein und bestimmte das Leben der Überlebenden. Der Weg zur Demokratie wurde mit der Überwindung der Angst eröffnet. Die rumänischen Bürger gewannen eines der wichtigsten Grundrechte: die Rede- und Meinungsfreiheit. Raluca Alexandrescu dazu:



Die Erfahrung von 1989 war bis zu einem gewissen Punkt sogar eine unvermittelte. Ich erinnere mich, dass ich am 21. Dezember 1989 mit meinen Brüdern in die Stadt ging, um etwas für Weihnachten zu kaufen. Wer sich noch daran erinnert, dass es damals kaum noch etwas zu kaufen gab, versteht, dass es nur ein Vorwand war, ein wenig aus dem Haus zu gehen. Mein Bruder, meine Schwester und ich gingen zum Universitätsplatz, wo die Menschen bereits zu protestieren begonnen hatten. Ich erinnere mich, dass ich mit 14 Jahren versuchte, ‚Nieder mit dem Kommunismus!‘ und ‚Nieder mit Ceauşescu!‘ zu skandieren. Doch damals und dort, beim Hotel Intercontinental, kam der Ton aus meinen Stimmbändern, aus meiner Kehle nicht raus. Ich war wie versteinert. Es waren etliche Minuten, in denen meine Stimmbänder auf die Befehle des Gehirns nicht mehr reagierten. Ich schrie aber innerlich, und das ist der Moment, an den ich mich als meine kleine innere Revolution erinnere.“




Anlass des Treffens zur Erinnerung an die Revolution und ihre Auswirkungen auf die gegenwärtige rumänische Gesellschaft war die Ausstellung des amerikanischen Fotografen Edward Serotta. In jenen Dezembertagen 1989 dokumentierte er — der Securitate zum Trotz — die Ereignisse auf der Stra‎ße. Ähnlich war er noch in Bulgarien, Ungarn, der Tschechoslowakei, Polen und der DDR vorgegangen, wei‎ß Adrian Cioflâncă, Direktor des Zentrums für die Geschichte der jüdischen Gemeinschaften in Rumänien und Mitglied der Behörde für die Aufarbeitung des Securitate-Archivs (CNSAS):



Edward Serotta hatte mehr Bewegungsfreiheit als zum Beispiel Anne Applebaum, die 1989 zusammen mit einem BBC-Journalisten nach Rumänien kam und am Flughafen von Securitate-Beamten mit riesigen Walkie-Talkies begrü‎ßt wurde, wie in einem albernen Agenten-Film. Die Securitate wollte die beiden Journalisten einschüchtern, sie daran hindern, sich mit einigen Dissidenten zu treffen und einige wichtige Orte aufzusuchen, die mit der antikommunistischen Dissidenz zu tun hatten. Praktisch konnten die beiden ausländischen Journalisten nicht viel erreichen, überall, wohin sie gingen, waren ihnen Securitate-Leute auf den Fersen. Im Fall von Edward Serotta tappte die Securitate in eine Falle. Serotta hat sie hereingelegt, er hat vorgetäuscht, eher an den jüdischen Gemeinden in Rumänien interessiert zu sein. Er kannte allerdings verschiedene Memoiren über Rumänien in der Zwischenkriegszeit.“




1989 — das Jahr, in dem Europa zu sich selbst wiederfindet“, eine Ausstellung im Museum für die Geschichte der Stadt Bukarest, die in Partnerschaft mit dem Österreichischen Kulturforum organisiert wurde, setzt sich nicht so sehr mit dem Fall des Kommunismus auseinander, sondern dokumentiert vielmehr die Wiederverankerung der Freiheitsidee im kollektiven Denken. Die rumänische Gesellschaft befindet sich immer noch in einem Wandel der Wahrnehmungen, Mentalitäten und der Erinnerungsfähigkeit.

Foto: Mathias Reding / Unsplash
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